Wider das Gerede vom Sachzwang Weltmarkt

■ Der linke Politökonom Kurt Hübner hält den Nationalstaat für stark genug, dem entgrenzten Geldkapital Fesseln anzulegen und die volkswirtschaftlichen Wachstumspotentiale zu schützen

Eine schwerverdauliche Kost über die Entwicklung des Weltmarktes der letzten Jahre hat der Wirtschaftswissenschaftler Kurt Hübner zubereitet. Sie fällt aus dem üblichen Rahmen der mittlerweile doch recht breit gefächerten Debatte um die Ursachen und Auswirkungen der Globalisierung, welche sich weitgehend von empirischen Tatsachen und Zusammenhängen emanzipiert und deswegen ein besonderes Eigenleben angenommen hat.

So wird in den Feuilletons der Zeitungen weiter lustig im Nebel herumgestochert und gestritten. Die ökonomische Entwicklung der letzten Jahre wird dort, nach Ansicht Hübners, gern zum Anlaß genommen, um „alle erreichten analytischen Differenzierungen im Verhältnis von nationaler Gesellschaft und globaler Ökonomie zu vergessen und zu mehr oder weniger simplifizistischen Determinationsthesen zurückzukehren. Weitab von empirischen und analytisch-theoretischen Standards werden vor allem in der populärwissenschaftlichen Aufarbeitung dieser Prozesse Behauptungen aufgestellt und wirtschaftspolitische Schlußfolgerungen gezogen, die schlichtweg unseriös sind.“

Insbesondere die politologische Diskussion über die Globalisierung pflegt nach Ansicht Hübners oftmals einen kaum noch zu übertreffenden „Nirwana-Jargon“, der sich aus einem selektiven Zugriff auf die ökonomische Statistik speist und sich aus einer ebenso oberflächlichen wie amateurhaften Interpretation ökonomischer Zusammenhänge ergibt.

Allerdings will Hübner seinerseits angesichts der Komplexität des zu untersuchenden Gegenstandes keine Theorie und verallgemeinerungsfähigen Aussagen über die Globalisierung präsentieren. Vielmehr gibt er einen recht genauen statistisch beschriebenen, aber problemorientierten Umriß über die Entwicklung sowohl der Geld- und Kapitalmärkte, der Import- und Exportverhältnisse wie auch der Direktinvestitionen zwischen den Staaten.

Hübner zeigt detailliert, daß die ökonomischen Verflechtungen zwischen den Staaten sich zwar insgesamt vertieft haben, aber auch eine höchst asymmetrische Gestalt besitzen. Diese ökonomisch ungleich gewachsene Verflechtung erlaubt es jedoch nicht, daß vor allem hinsichtlich der industriell entwickelten Staaten von eimem „unabdingbaren Sachzwang Weltmarkt“ oder von einer Unterwerfung der nationalen unter die globale Ökonomie gesprochen werden kann.

Selbst mit Blick auf die hochgradig global integrierten Geldmärkte lassen sich für entwickelte Volkswirtschaften wie etwa die US-amerikanische, die japanische und auch die bundesdeutsche durchaus Spielräume für eine Geldpolitik der nationalen Regierungen und Bundesbanken identifizieren. Folglich gehen für Hübner die populären „alarmistischen Ohnmachtsanalysen“ an der politik- ökonomischen Realität des Weltmarktes vorbei.

So könne beispielsweise nicht, wie in der Globalisierungsdiskussion beständig unterstellt wird, von einer Abkopplung von, sondern nur von einer relativen Verselbständigung der Geld- und Kapitalmärkte gegenüber der realen Produktion gesprochen werden. Und diese von Hübner nachgewiesene Verselbständigung hat – ohne daß die darin liegenden ökonomischen Risiken verschwiegen werden – bislang die ökonomische Wachstumsdynamik in den Staaten nicht gebremst oder gefährdet, sondern eher gefördert. Auch aus diesem Grund spricht daher wenig dafür, „ökonomische Globalisierung in den OECD-Ökonomien als „Jobkiller“ zu klassifizieren. Nichtsdestotrotz ist auch für Hübner unbestritten, daß ökonomische Globalisierung den Anpassungsdruck auf der Mikroebene enorm erhöht. Wer sich also ein recht genaues und differenziertes Bild über die Globalisierung machen will, sollte einen Blick in dieses Buch wagen. Christian Gierschner

Kurt Hübner: „Der Globalisierungskomplex: grenzenlose Ökonomie – grenzenlose Politik?“ Edition Sigma, Berlin 1998, 378 Seiten, 44 DM