Globaler Ordo-Liberalismus

Er hat Milliarden mit Spekulationen an den Finanzmärkten verdient, nun macht George Soros Vorschläge, wie die Quelle seines Reichtums zu kanalisieren sei  ■ Von Hermannus Pfeiffer

Der Mann bekennt sich zu zwei Berufen: „erfolgreicher Fondsverwalter“ und „Philanthrop“. Dem selbsternannten Menschenfreund gehört die milliardenschwere Investmentgruppe Quantum, und er steht an der Spitze von zwei Dutzend Stiftungen. Der amerikanisch-ungarische Finanzier George Soros fürchtet nun in seinem jüngsten Buch um den „Zusammenbruch des kapitalistischen Weltsystems“. Sollte es dazu kommen, so der bemerkenswerte „Finanzhai“ (taz), wären freie Märkte und die globale Finanzkrise daran schuld.

Finanzkrisen prägten dieses Jahrhundert katastrophal. Da waren die Devisenschwäche der jungen Weimarer Republik nach dem Ersten Weltkrieg, Hyperinflation und später eine Deflationsflut, auf deren Wellen Hitler an die Macht gedrückt wurde. Berühmter als die deutsche Deflation wurde der Schwarze Freitag im Oktober des Jahres 1929. Damals stürzten die Kurse an der New Yorker Börse in die Tiefe, was eine Weltwirtschaftskrise auslöste. Am Ende der Finanzkrisen taumelte die Menschheit in den Zweiten Weltkrieg. Später überschattete die sogenannte Schuldenkrise die achtziger Jahre: Mit einer Billion Dollar stand die Dritte Welt in den Schuldbüchern des Westens, und die Unbezahlbarkeit dieser Summe drohte die großen US- Banken in die Pleite zu stürzen. Diese fanden jedoch Wege aus ihrer Krise – während sich die Schuldenlast der Entwicklungsländer bis heute verdoppelt hat! 1994 bedrohte dann eine Mexikokrise die internationalen Finanzmärkte. Spätestens dieser Peso-Crash bewies die monetäre Instabilität des globalistischen (sic!) Kapitalismus. Als dann in der zweiten Jahreshälfte 1997 die thailändische Währung Baht zusammenbrach, wurde die Labilität der Weltwirtschaft überdeutlich.

Das Geldkapital nahm alsbald Reißaus – ebenfalls aus den anderen, nun beklagenswert taumelnden ehemaligen Tigerstaaten – und floh in die sicheren Finanzhäfen namens Bundeswertpapiere oder US-Aktien. Bald darauf lief es auch aus Rußland fort und – das jüngste Krisenszenario – aus Brasilien. Die mittelbare Folge: Vor Ort werden millionenfach Arbeitsplätze in Fabriken und Büros vernichtet, und im Hinterland der Finanzoasen in der Dritten Welt wird das tägliche Mais- oder Reisgericht unerschwinglich.

Die Antworten, welche die klassische Wirtschaftswissenschaft auf solche Krisen und Katastrophen gibt, basieren auf einem festen Glauben an das liberale Gleichgewichtsmodell: Märkte würden aus sich heraus zu einem Gleichgewichtspunkt hin tendieren. Was darauf hinausläuft, daß mittel- oder langfristig alles von selber „gut“ wird. Eingriffe von außen, etwa durch den Staat, wären da nur kontraproduktiv und würden die Märkte letztlich sogar daran hindern, wieder in ihr Gleichgewicht zu kommen.

Auf diese Grundannahmen setzen – weltweit – die meisten Banker und Finanziers ihre Hoffnungen, zumindest in ihren Sonntagsreden. George (György) Soros akzeptiert dieses zentrale Dogma der dominierenden neoliberalen Schulökonomie nicht. Statt dessen hält er die Apokalypse für möglich, vielleicht sogar für wahrscheinlich: „Der Zusammenbruch des kapitalistischen Weltsystems“ sei nicht auszuschließen. Verhindert werden könne dieser große Crash nur durch eine Einschränkung der Freiheit der Märkte. Diese würden eben nicht wie ein Pendel automatisch zum Ruhepunkt, dem Gleichgewicht, zurückschwingen, vielmehr ähnelten die Finanzmärkte einer „Abrißbirne“, die ganze Regionen niederreißt und, im für Soros schlimmsten Fall, den gesamten Kapitalismus.

Soros Krisenschema funktionierte in Asien und jetzt in Südamerika folgendermaßen: Überbordende Hoffnungen in die Zukunft der Tigerstaaten ließen das Kapital bedingungslos dorthin fließen. Alsbald folgte daraus eine Überbewertung der lokalen Währung – bis sich aus Kapitalzufluß und Überschätzung ein Krisenszenario zusammengebraut hatte, weil sich Realität und Einschätzung durch die Finanzmärkte nicht mehr länger in einen fiktiven Einklang bringen ließen.

Es folgte ein Währungs- und Wirtschaftsdesaster, und das internationale wie auch das nationale Kapital hastete, sobald es flüssig zu machen war, davon. Tröstlich, daß sich an die jeweilige Überreaktion üblicherweise eine wirtschaftliche Erholung anschließt. Übrigens, ausgenommen von dieser Kapitalflucht bleiben Direktinvestitionen: Da die angeschlagenen lokalen Konzerne in Asien und Südamerika nun spottbillig zu kaufen sind oder deren Kreditschulden in Beteiligungen umgewandelt werden, werden sich solche antizyklischen Investitionen schon bald lohnen.

Obwohl Vorkämpfer gegen die gnadenlose Marktfreiheit, bleibt Soros seinen eigenen Interessen treu. Der Spekulant und Hans Dampf in allen politischen Gassen tritt weder seinen Bekannten im amerikanischen oder russischen Finanzministerium auf die Füße noch seinen persönlichen finanziellen Engagements. So kommen sowohl die Analysen der globalen Finanzkrisen wie auch die Alternativvorschläge in Soros' Buch überraschend zahm daher. Seine Milde korrespondiert mit dem permanenten Versuch, zwei Welten miteinander zu verknüpfen: Finanzkapital und Philanthropie, Linke und Rechte, Europa und USA. Gründe dafür mögen sich in seinem schillernden Lebenslauf verbergen.

Weltweite Popularität erlangte Soros 1992, als sein Spekulieren gegen die Bank von England äußerst erfolgreich verlief, was letztere zur Abwertung des britischen Pfundes zwang. Er selbst kassierte dabei eine Milliarde Dollar, verrät uns der Klappentext.

1930 war Soros als Sohn eines jüdischen Rechtsanwalts in Budapest geboren worden, seine Familie hatte die deutsche Besatzung mit falschen Pässen überlebt. 1947 floh der Teenager gen England. Nach Berufsunfähigkeit, Studium und Hilfsarbeiten lernte er die Börse von innen kennen.

Später „floh“ Soros ein zweites Mal, diesmal in die USA. Dort überzeugte das „Genie an der Grenze zum Wahnsinn“ (Munzinger-Archiv) einige Finanziers von seiner Geschäftsidee, und die hieß short seller: Soros verkaufte Aktien, die er gar nicht besaß, auf Termin. Seine Hoffnung war, sie am Stichtag billiger als zu seinem Verkaufskurs erwerben zu können. Soros hatte hinreichendes Glück, und so verfügte er 1992 über das Kapital, um gegen die Bank von England zu spekulieren. Solche geschäftstüchtigen Praktiken deutet Soros in seinem Buch nur vornehm an. Verständlicherweise, denn die jüngsten Finanzkrisen dürften durch solche short seller nicht unerheblich beflügelt worden sein.

Besonders zugetan ist der Geldgigant dem Soziologen Karl Popper und seinem Modell der „Reflexivität“, dessen Ähnlichkeit mit der Marxschen Dialektik augenscheinlich ist – auch für Soros. Daraus leitet er für sich theoretisch ab, was in der Praxis offenkundig ist, daß Märkte nicht – siehe oben – spontan zum Gleichgewicht tendieren, sondern sich vielmehr dynamisch entwickeln. Angebot und Nachfrage sind nach dieser Theorie keine autonomen Größen, wie es die liberalen und neoliberalen Ökonomen, Bankiers und Politiker gerne annehmen. Vielmehr wirken Erwartungen über die zukünftige Nachfrage auch auf das Angebot – und umgekehrt.

So hat den ursprünglichen Asien-Boom der euphorische Herdentrieb der Finanziers angetrieben sowie die Erwartung, daß im Krisenfall der Internationale Währungsfonds (IWF) als letzter Rettungsanker bereitsteht – und das tat er dann bekanntlich ja auch. Die Geldgeber aus den globalen Zentren New York, Frankfurt und Tokio hielten sich in ihrer Not dann an den letztlich steuerfinanzierten Mitteln des Internationalen Währungsfonds schadlos.

Wem nun wie Soros der Glauben an die „unsichtbare Hand des Marktes“ (Adam Smith) fehlt, dem hat jener Alternativen zu bieten: internationale Aufsicht, die Umwandlung von Schulden in Beteiligungen – was einem Ausverkauf gleichkäme – sowie eine globale Kreditversicherung, eine Lieblingsidee von Soros. Zu befürchten wäre aber, daß eine solche Kreditversicherung den Herdentrieb ebenso beflügelt, wie es bisher die unausgesprochenen Garantieerklärungen des IWFs getan haben. Obendrein fordert Soros ein neues Politikverständnis: „Es sollte ausdrückliches Ziel der Politik sein, die Finanzmärkte soweit wie möglich zu stabilisieren.“ Dies wird nicht gehen, ohne Konflikte mit Banken und Staaten auszufechten. Seine politischen Vorstellungen gipfeln in der Idee einer „offenen Gesellschaft“ (Popper) als Weltgesellschaft.

Anders als der Deutsche-Bank- Boß Breuer, der jüngst in einem Artikel für die Frankfurter Allgemeine (4. Januar 1999) ebenfalls eine Weltgesellschaft neben die Weltökonomie setzt, wäre Soros bereit, dafür auch Institutionen aufzubieten und nicht allein ideologisches Beiwerk in Form einer diffusen „Bürgergesellschaft“ (Breuer).

Soros Ansatz ist nützlich. Tatsächlich fehlt „uns“ unter anderem eine globale Zentralbank, eine internationale Finanzaufsicht, und es mangelt an Mindeststandards für Banken, Fonds und Versicherungen. Diese Erkenntnis setzt sich mittlerweile auch bei den Finanzministern der Industriestaaten durch. Daß Soros gerne den US- amerikanisch dominierten IWF als globale Zentralbank inthronisieren will, darf als interessante, aber freilich auch parteiliche Anregung in einem spannenden, manchmal brillanten Theoriewerk gelten.

George Soros: „Die Krise des globalen Kapitalismus. Offene Gesellschaft in Gefahr“. Alexander Fest Verlag, Berlin 1998, 308 Seiten, gebunden, 39,80 DM