Ecevit erklärt den Aufbau Ost zur Chefsache

■ Der Ministerpräsident plant ein Hilfsprogramm für den wirtschaftlich unterentwickelten Osten. Kämpfern der PKK, die sich freiwillig stellen, wird eine Strafreduzierung angeboten

Istanbul (taz) – „Alle Ministerien sollen sich in den kommenden Monaten darauf konzentrieren, so schnell wie möglich Verbesserungen im Südosten des Landes durchzusetzen. Es reicht nicht, jetzt langfristige Pläne zu machen, wir brauchen schnelle Erfolge.“ Seit dem Wochenende treibt der türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit die Bürokratie des Landes an, die aus seiner Sicht verantwortlichen Ursachen für das Entstehen der PKK und den Bürgerkrieg in den kurdisch besiedelten Gebieten des Landes anzugehen.

Unterentwicklung, extrem niedriger Lebensstandard und die nach wie vor feudal strukturierte Gesellschaft sind für ihn der Kern des Übels. Als Sofortprogramm werden nun erhebliche Summen zur Verfügung gestellt, um zumindestens einen Teil der über 3.000 zerstörten Dörfer in der Region wiederaufzubauen. Straßen sollen erneuert und neu gebaut werden, die Elektrizitätsversorgung verbessert werden. Während in den letzten 15 Jahren nur noch Straßen gebaut worden waren, die das Militär benötigte, sollen jetzt auch die Bedürfnisse der Bevölkerung wieder berücksichtigt werden. Vor allem das Dorfprogramm scheint Ecevit am Herzen zu liegen. Er will regionale Zentren aufbauen, die unter anderem die medizinische Versorgung sowie die Schul- und Ausbildung sicherstellen.

In den 15 Kriegsjahren sollen rund fünf Millionen Menschen aus dem Südosten in die großen Städte der Westtürkei eingewandert sein. Zumindest einen Teil von ihnen hofft man nun zur Rückkehr bewegen zu können. Das wird aber schwieriger, als es auf den ersten Blick scheint. Es wird nicht reichen, Dörfer wiederaufzubauen und ein paar neue Straßen zu planieren. Gerade die von Ecevit beklagen feudalen Strukturen sind von den Militärs während des Krieges benutzt und damit gestärkt worden. Um Unterstützung im Kampf gegen die PKK zu bekommen, hat das Militär ganze Stämme bewaffnet und die Kontrolle der Agas über ihre Leute damit weiter forciert. Diese Privatarmeen kontrollieren nun weite Teile des Landes, sie kassieren im legalen Handel und im Drogengeschäft. Diese Machtverhältnisse wieder aufzulösen wird schwer sein. Solange der Ausnahmezustand besteht, ist daran kaum zu denken. Dazu kommt das extreme materielle Gefälle zwischen West und Ost. Während in Istanbul und an der Ägäisküste der Lebensstandard dem in Griechenland vergleichbar ist, liegt das Pro-Kopf- Einkommen im Osten auf dem Niveau von Bangladesch. Für die türkische Industrie kommt der Osten aber als Standort noch längst nicht in Betracht. „Bevor dort investiert wird“, sagte Isahak Alaton, ein liberaler Großindustrieller, „muß wirklich Frieden sein.“

„Jetzt ist erst einmal die Politik gefordert.“ Am Sonntag hat die Regierung Ecevit ein Dekret erlassen, das, sobald das Parlament nach den Wahlen im April wieder zusammentritt, rückwirkend als Gesetz verabschiedet werden soll. Es sieht eine Teilamnestie und einen Strafnachlaß für diejenigen vor, die sich jetzt ergeben. Kurden, denen lediglich eine PKK- Mitgliedschaft angelastet wird, sollen straffrei bleiben. Alle anderen, die sich stellen und aussagen, bekommen eine Strafreduzierung. So soll eine Todesstrafe in neun und „lebenslänglich“ in sechs Jahre umgewandelt werden. Da Gefangene in der Türkei häufig nur die Hälfte ihrer Strafe absitzen müssen, könnte das Angebot für etliche Kämpfer attraktiv sein.

Dazu kommt, daß angeblich Abdullah Öcalan auf Imrali dabei ist, einen Aufruf an seine Anhänger zu verfassen, den Kampf einzustellen und von den Bergen herunterzukommen. Auch wenn PKK- Sprecherin Mizgin Sen sagt: „Wir werden keine Notiz davon nehmen, weil ein solcher Aufruf sicher nicht freiwillig zustande kommt“, dürfte er doch bei seinen Anhängern zu erheblicher Verunsicherung beitragen. Jürgen Gottschlich