"Eine Form der Entlastung"

■ Gespräch mit Volkhard Knigge, dem Leiter der KZ-Gedenkstätte Buchenwald, über das Holocaust-Mahnmal als poltitisches Zeichen und über die Schwierigkeit, ein Museum zu füllen

Volkhard Knigge (44) leitet seit 1994 die KZ-Gedenkstätte Buchenwald und hat den wohl schwierigsten Ort deutschen Gedenkens konzeptionell neu gestaltet. Er ist einer der führenden Köpfe in der Diskussion über Naziterror und Gedenkkultur und wurde vom Staatsminister für kulturelle Angelegenheiten, Michael Naumann, zur Präsentation des überarbeiteten Eisenman- Entwurfs für ein Berliner Holocaust-Mahnmal eingeladen. In diesen Tagen entscheidet sich in den Gremien des Bundestages, in welcher Form der weitere Mahnmalwettbewerb ablaufen wird.

taz: Peter Eisenman hat auf Wunsch von Michael Naumann seinen Entwurf überarbeitet und das Stelenfeld durch ein Haus des Erinnerns mit Ausstellungsflächen, Bibliothek und Instituten ergänzt. Was halten Sie davon?

Volkhard Knigge: Zuerst zu Peter Eisenmans Stelenfeld, mit dem er einen neuen künstlich authentischen Ort schafft, ein Simulacrum, wenn sie so wollen. Es imitiert die Wirkung authentischer Orte wie KZ-Gelände, es sollen sich Gefühle wie Enge und Beklemmung einstellen. Das Hauptproblem besteht für mich darin, daß man solche künstlich authentischen Orte in Israel und Washington durchaus braucht. Dort sind sie gerechtfertigt. In Deutschland allerdings sollte man sie nicht undurchdacht installieren wollen.

Ist jeder künstliche Ort des Gedenkens aufgrund der in Deutschland existierenden historischen Orte obsolet?

Nein. Ich meine nur, daß man solch einen neuen Ort zuerst einmal in Beziehung zu den historischen Orten setzen müßte, an denen das deutsche Gedächtnis seine Halte- und Ausgangspunkte genommen hat. Eine plausible Begründung steht bis jetzt allerdings aus. Und man entwertet, ob man das will oder nicht, die historischen Orte sowie die Arbeit der Menschen ab den fünfziger Jahren, die sich ohne politische Rückendeckung und zu einer Zeit, da es weder chic noch opportun war, für den Erhalt dieser Orte einsetzten. Das gilt besonders für Berlin. Ein künstlich authentischer Ort in Nähe der Topographie des Terrors und unweit des Jüdischen Museums bedarf einer besonderen Begründung, da man Gefahr läuft, diese Orte zu marginalisieren. Ich bin nicht besonders glücklich, wenn man mir in Amerika dafür gratuliert, daß in Deutschland jetzt endlich etwas anfängt.

Sie erwähnten Jad Vaschem in Jerusalem und das Washington Holocaust Museum. Inwiefern gelten für eine zentrale Gedenkstätte in Deutschland andere Bedingungen?

Die Leitmotive der Erinnerung, wie man sie in Israel und Amerika zu Recht pflegt, kann man nicht einfach nach Deutschland importieren. Bei uns ginge es vielmehr darum, endlich ein Tatgedächtnis zu etablieren. Leitmotiv dieses Tatgedächtnisses könnte sein, wie die Demokratie mutwillig verspielt worden ist und sich eine rassisch fundierte deutsche Diktatur immer radikaler daranmachte, Menschen auszugrenzen bis hin zum Massenmord. Das Narrativ des Washington Holocaust Museum dagegen ist ein völlig anderes: wie die Deutschen unsere jüdischen Menschen in Deutschland und Europa ausgrenzten, entrechteten und ermordeten. Das Opfergedächtnis ist auf ein „Wir“ gebaut, und das stellt gegenüber dem Tatgedächtnis eine essentielle Perspektivenverschiebung dar.

Und was würde daraus für ein Haus des Erinnerns folgen?

Vor diesem Hintergrund wäre es ein Armutszeugnis auch gegenüber dem Standard der Erinnerungskultur der letzten Jahrzehnte, müßte man die geplante Ausstellung aus Washington oder Israel importieren. Ich finde es auch nicht klug, wenn man sagt, diese Einrichtung solle eine Abteilung des Jüdischen Museums in Berlin werden. Es wäre fatal, entstünde der Eindruck, die Shoah sei eine Angelegenheit der Juden, obwohl mit der Topographie des Terrors, der Wannseevilla und dem Museum Karlshorst die wichtigsten Kristallisationspunkte des deutschen Tatgedächtnisses ganz in der Nähe stehen.

Welcher Ansatzpunkt wäre der richtige?

Man müßte im Netzwerk bestehender Erinnerungsstätten argumentieren, um daraus das Nachdenken über die Form des Mahnmals zu intensivieren. Ich spreche dabei bewußt nur von Eisenmans Stelenfeld. Nur Denkmale fungieren in europäischer Tradition als politische Symbole, in denen sich formuliert, was Bestandteil des nationalen Gedächtnisses sein soll. Solch ein durch einen Bundestagsbeschluß legitimiertes Zeichen fehlt, Aufklärung hingegen wird an vielen Orten schon geleistet.

Welche Auswirkungen hätte das auf bereits bestehende Gedenkstätten?

Solch politisches Symbol würde die Arbeit der Gedenkstätten stärken. Was vielen lange als Nestbeschmutzung galt, würde endlich zum verbindlichen Bestandteil der politischen Kultur der Republik. Hinzu käme eine positive, nicht mit Verdrängung zu verwechselnde Form der Entlastung. Ich denke ja, daß es eine richtige Form von Entlastung gibt. Menschen können nicht vierundzwanzig Stunden am Tag darüber nachdenken, daß Geschichte im wesentlichen ein Ablauf von Grausamkeiten ist und die Shoah einen bis jetzt unerreichten Höhepunkt darstellt. Wir brauchen Institutionen, die als Teil des öffentlichen Gedächtnisses fungieren, notwendiges Wissen bewahren und als Symbole im öffentlichen Raum – was übrigens auch eines der wichtigsten Argumente gegen Martin Walser ist – immer wieder dazu auffordern, sich diesem Wissen zu stellen. Und das führt auch weg von der Schulddebatte. Schuld ist eine Kategorie, die lediglich für die Generation der direkt Beteiligten gilt. Für junge Menschen von heute geht es vielmehr um die Kategorie der Verantwortung, und in diesem Zusammenhang kann das Mahnmal ein symbolisches Totendenkmal und eine Taterinnerung gegen Ausgrenzung und Schweigen sein.

Zu Verantwortung gehört Wissen. Könnte ein Haus des Erinnerns nicht doch die Funktion haben, Wissen zu bewahren?

Da stößt man doch zuerst auf die Frage, ob der Naumannsche Vorschlag intensiviert, was in Deutschland bereits gewachsen ist. Im Moment sieht es doch aber so aus, daß im Haus des Erinnerns zusammengeführt werden soll, was anderswo längst bewahrt wird. Und daran hängt die ganz praktische Frage, wie das Haus des Erinnerns überhaupt gefüllt werden soll, wenn die verfügbaren Realien längst in verschiedenen Archiven, Gedenkstätten und Museen der Welt verteilt sind. Mit dieser Frage mußten sich die Kollegen in Washington schon herumschlagen, taten das allerdings in dem glücklicheren historischen Augenblick, als die östliche Welt sich öffnete und man in Archive konnte, in denen vorher nicht geforscht worden war. Dort gibt es inzwischen allerdings auch so gut wie nichts mehr, ist alles – zynisch formuliert – völlig abgegrast. Man sollte das Problem der inhaltlichen Ausstattung eines Hauses der Erinnerung also nicht auf die leichte Schulter nehmen. Nichts wäre fataler, als arbeitete man im Land der Originale mit Duplikaten, Doubletten oder Hologrammen. Und das permanente Abspielen von Videos aus Spielbergs Shoah Foundation mag Betroffenheit erzeugen, ob es aber zu Verständnis und Wissen führt, ist zweifelhaft. Interview: Jürgen Berger