Immer wahr

Liebe und Langeweile auf Long Island: Das Metropolis zeigt Hal Hartleys manchmal rätselhafte, aber niemals moralisierende Meisterwerke  ■ Von
Matthias von Hartz

Es gibt mehrere wenig attraktive Gegenden Amerikas, in denen wir uns dank einiger Filmemacher erstaunlich wohl fühlen. Wir mögen die Menschen dort, beinahe faszinieren uns ihre seltsamen Gewohnheiten und Lebensumstände sogar. Leben wollen wir da nicht, aber immer wieder ziehen wir gerne für zwei Stunden in skurrile amerikanische Idyllen. Wir haben ja auch schon fast Freunde da. Dank der Coen-Brüder wohnen die in der Trostlosigkeit des Mittleren Westens, und mit Hal Hartley besuchen wir andere Bekannte in der kargen, aber ästhetischen Langweile der New Yorker Suburbs.

Hal Hartley kommt aus Lindenhurst, Long Island. Und dort dreht er seit zehn Jahren konsequent amerikanisches Kino jenseits von Hollywood. Hartleys Geschichte klingt nach amerikanischer Independent-Legende: Mit Freunden von der Kunsthochschule drehte er seinen ersten Spielfilm in den Wohnungen von Verwandten für 75.000 Dollar, finanziert vom Besitzer einer Firma, in der Hartley als Runner jobbte. Mit vielen der Freunde von damals arbeitet er immer noch, und das ist gut so. Michael Spillers ruhige und präzise Kamera ist ebenso ein Hartley-Essential geworden wie die Schauspieler Martin Donovan und Elina Löwensohn sowie Menschen und Landschaft Long Islands.

In der schalen Ausdrucksloligkeit und Neutralität dieser New Yorker Kleinstädte hat er von Anfang an eine wunderbare Entsprechung für seine Erzählweise gefunden. Was sie verbindet, ist Ökonomie. Kein Baum ist in den Roadmovie-Szenen von Simple Men (1993) zuviel an der Allee, kein Möbelstück überflüssig in den Vorstadthäusern von Trust (1991), keine Emotion offensichtlich an die Außenwelt verschwendet und vor allem nie ein Wort mehr als nötig. Gesprochen wird bei Hartley meistens sehr wenig, aber dafür manchmal rätselhaft – und immer wahr.

Dabei sind die Konstruktionen seiner Geschichten eher melodramatisch: Ein KFZ-Mechaniker kommt in Hartleys Langfilmdebüt Verdacht auf Liebe von 1989 aus dem Gefängnis zurück in seine Heimat und verliebt sich in eine Frau, deren bester Freundin Vater er umgebracht haben soll. Doch all das kommt ohne viel Dramatik aus, lebt geradezu von emotionslosen Gesichtern, die allen Hartley-Geschichten eine grundsätzliche Dimension geben – eine reduzierte und unsentimentale Poesie der Wahrheit. Ein sehr junges schwangeres Mädchen sucht im zweiten Spielfilm Trust Verständnis in Familie und Umgebung; vergeblich. Alle sind Produkte ihrer Kleinstadt-Vergangenheit, deren Familienstrukturen und ihrem American-middle-class-Wertesystem. Nie ist das bei Hartley moralisierend, sondern so tragisch wie selbstverständlich, so einfach wie richtig.

„Knowing is not enough“, versucht dann auch in einem von Hartleys Kurzfilmen der Dozent seine Studenten von Dostojewksi lernen zu lassen – während er sich selbst unsterblich in eine Studentin verliebt, obwohl er weiß, daß das schiefgehen muß. „Ich zelebriere sehr gerne die menschliche Fähigkeit zum Selbstbetrug“, sagt Hartley. „Knowing is not enough. But, of course, not knowing doesn't help much either.“

Die meisten seiner Filme diskutieren simple exemplarische Fragestellungen der Liebe, sind fast psychologische Kammerspiele, und doch dreht er gleichzeitig Long-Island-Roadmovies. Menschen in Hartley-Filmen sind immer gefangen, egal, wieviel sie unterwegs sind. Doch sie sind auch nie nur in der konkreten Situation, sondern scheinen oft stellvertretend einen fast philosophischen Diskurs zu führen. Das tun sie so reduziert, trocken und etwas ironisch. Von Pathos keine Spur.

Im jüngsten Film der im Metropolis gezeigten kleinen Retrospektive, Amateur, probiert Hartley vieles anders. Er dreht einen Thriller mit einem europäischen Star (Isabelle Hupert) unter seinen amerikanischen Freunden, und er dreht in Manhattan. Ein Mann verliebt sich nach einem Unfall mit Gedächtnisverlust in eine ehemalige Nonne, die nun Pornos schreibt. Wieder geht es jedoch dabei um den Versuch einer Beziehung, die an Umständen und Selbstzweifeln scheitert, wieder gibt es so klare Worte zum Thema, daß man sich wundert, darauf noch nie gekommen zu sein. So einfach wie die in Simple Men zwischen Donovan und dem Mechaniker aus dem ersten Film, dem es in Long Island doch zu langweilig wurde und der nun das Abenteuer sucht.

Aber es sieht schlecht aus: „Ted, there is no such thing as adventure and romance. There is only trouble and desire. As long as you desire something, you immediately get into trouble. Once you are in trouble, you don't desire anything at all.“ Eben.

Verdacht auf Liebe: Mo, 1., 19 Uhr; Di, 2., 17 Uhr; Mi, 3. März, 21.15 Uhr. Trust: Fr, 12., 21.15 Uhr; Sa, 13., 19 Uhr; Mo, 15., 21.15 Uhr; Di, 16. März, 17 Uhr. Simple Men: Sa, 20., 19 Uhr; So, 21., 21.15 Uhr; Mo, 22., 17 Uhr; Di, 23. März, 21.15 Uhr . Amateur: Fr, 26., 21.15 Uhr; So, 28., 21.15 Uhr; Mo, 29., 17 Uhr; Di, 30. März, 21.15 Uhr, Metropolis