Müggelsee-Alternativen

■ Karin Henkel inszeniert Hauptmanns Einsame Menschen am Thalia Theater ohne Gefühlsduselei

„Oh nein.“ Sie stößt sich vom Tisch ab, dreht sich auf dem Stuhl, lehnt den Kopf an die Wand, guckt in die Luft, stöhnt. „Also, das ist die schrecklichste Frage überhaupt!“ Sie greift zu den Zigaretten, zündet sich eine an, raucht. „Pff – pff.“ Sie ascht ab, raucht weiter. „Pff – tja, ...“ Zieht mit der linken Hand an ihrem bunten Flatterhalstuch.

Wenn die Antworten von Karin Henkel diffus ausfallen, stört sie das nicht. Die Dinge entwickeln sich halt. Genauso ihre Inszenierung von Einsame Menschen am Thalia Theater: Sie ignoriert die ellenlangen Regieanweisungen für Gesten und Kostüme und die Pffs und Tjas, die für Gerhart Hauptmanns Stücke typisch sind. Auch Gefühlsschwulstiges und Veraltetes fliegen raus: „Schon allein das Wort naturalistisches Theater ist schrecklich.“

Karin Henkel, die vor wenigen Jahren als jüngste Regisseurin des Burgtheaters Furore machte, stellte sich Hamburg im letzten Jahr mit Ionescos Die Unterrichtsstunde & Die kahle Sängerin vor. Sie betrachtet Stücke als bloßes Material und inszeniert nur, was sie selbst kennt. Daher interessiert sie sich auch für Einsame Menschen; mit 28 Jahren ist sie nicht nur so alt wie Gerhart Hauptmann, als er 1891 Einsame Menschen schrieb, sondern auch so alt wie die Hauptfigur Johannes. Henkel erlebt diese Zeit als Umbruchphase: „Es geht um die Entscheidung, die bürgerliche Lebensform der Eltern anzunehmen oder abzulehnen.“ Aber statt sich für Frau und Kind im trauten Heim am Müggelsee oder alternativ für ein vergleichsweise unabhängiges Leben mit der Geliebten zu entscheiden, wählt Johannes den Selbstmord und ertränkt sich. „Das ist doch feige!“ sagt Henkel und verschiebt ihre Entscheidung über den Schluß der Inszenierung bis zur Hauptprobe. „Auf gar keinen Fall will ich, daß das Publikum anschließend auch in den Müggelsee springt.“ Denn die Regisseurin hätte es gern traurig, aber nicht tragisch.

Warum Karin Henkel Theater macht, weiß sie nicht. Und das ist die schrecklichste Antwort auf die „schrecklichste Frage überhaupt“. Theaterarbeit mache eben einfach Spaß, das Spielen, das Ausprobieren, diese ewige Suche. Mal sehen, ob Karin Henkel zufällig was gefunden hat.

Birgit J. Neumann

Premiere: Samstag, 27. Februar, 20 Uhr, Thalia Theater