Die Angst alternder Frauen

■ „Die Schule des Begehrens“ neu im Kino: Kultivierte Selbstzerfleischung kann so schön sein, vor allem bei einer Isabelle Huppert und einem Vincent Martinez

Das kann sie, die Isabelle Huppert jeckyll&hydeig: ihrem Mund ein flüchtiges, aufmunterndes Lächeln abtrotzen, während die wimpernarmen, konturlosen Augen wie Irrlichter in der Gegend herumhuschen. Und das, obwohl just vor ihrer Nase ein Traummann steht, Vincent Martinez, laut Presseinfo „durch Zufall entdeckt, als er seinen Bruder Olivier bei Dreharbeiten besuchte“. Auch im Benoit Jacquots ergreifendem (ja, sowas darf man manchmal sagen) Film „Die Schule des Begehrens“ begegnet die reiche, wohlgeordnete, in der Modebranche reüssierende Dominique dem jüngeren Laienboxer, Laienstricher und Teilzeitbarmann Quentin durch Zufall. In einer Gaybar wuseln sich ihre Blicke an mehreren fremden Achselhöhlen und Köpfen vorbei ineinander.

Bald ist der ZuschauerIn klar: Diese Gegensätze könnten sich gut ergänzen. Und Dominique und Quentin bringen dieses gefährliche Geheimnis manchmal sogar über die eher redeunwilligen Lippen. Meistens aber bemühen sie sich, sich selbst und der Welt zu zeigen, daß sie auf den jeweils anderen zur Not auch pfeifen, daß sie vor allem ihr eigenes Leben leben wollen. Dieses Nähe-/Distanzproblem einer routinierten Singlegesellschaft wurde uns bereits von Dutzenden überflüssigen Generation-X-Filmen zart-schmunzelnd vor Augen geführt. Bei Jacquot aber tut der diffizile Veittanz von Werben und Wegschubsen sauweh. Und wer auch nur ein bißchen die Befähigung zum Masochismus in sich spürt, muß diesen Film deshalb lieben.

Dominique mischt sich wie eine Vollidiotin in Quentins Leben ein, schnüffelt in seinem Adressbuch, zerreißt das Foto eines Exgeliebten Quentins, schreibt ihm vor, wie er sich beim Essen zu benehmen hat. Zerrissen wie ihre Mimik ist Isabelle Hupperts Gefühlslage. Gönnerhaft teilt sie dem Geliebten im Befehlston den gemeinsamen Reise-termine mit, wimmelt ihn auf Partys snobbig ab und will doch nur von ihm geliebt werden. Die dumme Kuh. Er demonstriert ihr dafür, daß er Spielhallenspiele bisweilen spannender findet als sie. Ein Film über die glücksvernichtende Kraft von Alters- und Klassenunterschieden kurz vor der Jahrtausendwende – immer noch.

Und weil sich dieses Trauerspiel in wunderbar verhuschter Form auf zwei wirklich faszinierenden Gesichtern in Großaufnahme niederläßt, ist dieser Film in all seinem Perpetuum-mobile-Stillstand (ist das jetzt ein Widerspruch?) prik-kelnd. „Du lebst wenigstens noch“, mit diesen Worten wird Dominique von einer Freundin, die sich in gar keiner Geschichte mehr aufhält, um ihr Unglück beneidet. Schließlich führt dieses Unglück zu einer Augenchoreographie – Herab-, Daneben-, Konfus-, Ineinanderblicken – die so raffiniert ist wie modernes Tanztheater. bk

Täglich im Cinema, 21 Uhr