Herüberbringung    ■ Von Fanny Müller

Heute gab es schon mehrere Schüttungen Sekt in der Firma, weil Kollege Hanno seinen 61. Geburtstag feierte. Ich bewunderte sofort sein neues Seidenhemd. Er sagte, daß man ja nur hundert Mal Geburtstag hätte, da könnte man schon mal ein neues Hemd kaufen. Das ist wahr. Danach sprach ich mit ihm über die diversen Broschüren, die demnächst angeliefert werden sollen und anschließend auf die Filialen verteilt werden müssen, und daß Herr Zielonka die Auseinanderfahrung machen wird. Dann erörterten wir das Gewicht der Broschüren, nämlich 300 Kilogramm, und ob Herr Zielonka die in den Kombi kriegt. Das entspräche ungefähr dem Gewicht von fünf Leuten, sagte Hanno, aber, so wandte ich ein, nicht dem Umfang, denn unsereins bestünde ja fast nur aus Wasser, woraufhin Hanno ins Grübeln kam und mir dann mitteilte, daß Menschen ja quasi wandelnde Teiche seien. Als wir uns später am Tag auf der Treppe begegneten, hieß es gleich: „Weiher eins grüßt Weiher zwo.“

Hauptthema auf der Geburtstagsfeier war die Gesundheit. Der Chef hat auch schon gesagt, daß der Betrieb ein bißchen überaltert ist. Frau v. Borkel hat seit einem halben Jahr ein Ekzem am Arm, da konnte der Arzt nichts zu sagen, jetzt sei es aber so gut wie weg, mit Pipi-Behandlung. Das Schwierigste an der ganzen Sache sei nur die Hinunterkriegung des Ellenbogens in den Strahl gewesen. Ich selbst konnte beisteuern, daß erst kürzlich ein Computertomogramm bei mir gemacht worden sei, worauf Hanno mich beglückwünschte und fragte, wohin ich es habe machen lassen. Auf den Oberarm? Auf die Schulter? Oder hinten? Und was drauf wäre – Drache, Panther, Totenschädel? Und ob er es mal sehen dürfe? „Tut es wirklich so weh?“ unterbrach ihn der neue Lehrling Bastian, „wie immer gesagt wird?“ – „Alles Quatsch“, warf Frau Gehren ein, „wenn es weh tut, dann heißt es Piktogramm. Und wenn es am Arsch gemacht wird, Kilogramm. Oder Pogrom.“

Hans-Hermann aus der Buchhaltung konnte über sein homogenes KM-Enhancement berichten. Ich hoffe, daß das keine Frechheit war. Dafür seien aber keine retroperitonealen oder mesenterialen LK-Vergrößerungen gefunden worden! Das fanden alle total beruhigend. Fräulein Kölln vom Empfang stellte dann eine „geometrische Persönlichkeitstheorie“ vor, die sie entwickelt hat. Die kann hier nicht in allen Einzelheiten beschrieben werden. Nur soviel: Sind Sie ein Dreieckstyp oder eher ein Vieleck im Übergangsstadium zum Kreis? Sie sei schon bei der Runterschreibung eines Buches, sie glaubt, daß das ganz einfach sein müsse. Später kam noch die neue Kollegin aus der Auslandsabteilung herein, und ich stellte fest, daß wir uns bereits kannten. Sie hat eine Hüftprothese und ist die geschiedene Frau eines Exkollegen und erzählte mir, daß dessen neue Freundin die ehemalige Stiefmutter einer Klassenkameradin des Sohnes der Geschiedenen sei. „Ehemalige Stiefmutter“ deshalb, weil sie den Vater der Stieftochter wegen des Exmannes der Geschiedenen verlassen hatte, wobei übrigens der besagte Vater sich wiederum ihretwegen vorher hatte von seiner ersten Frau scheiden lassen. So schließen sich die Kreise. War die Herüberbringung klar, oder brauchen Sie 'ne Zeichnung?