Weißwurst im Assessment-Center

■ Ein für allemal: Beißen, schälen, schneiden oder doch zuzeln?

Viele Verfahren wurden schon entwickelt, um die Menschen zu kategorisieren. Doch Horoskope, Schriftbildanalysen und Assessment-Center stellen sich in der Praxis immer wieder als unzulänglich heraus. Sehr viel näher kommt man einer fundierten Personalentscheidung durch eine Weißwurstfrühstückanalyse.

Weißwürste sind besondere Würste aus dem exotischen Königreich Bayern, deren Verzehr sich sehr von dem anderer Wurstwaren unterscheidet. „Pølsa tyska“, Würstchendeutsche, nennen uns liebevoll die dänischen Nachbarn, doch während sich Restdeutschland mit Curry-, Brat- und Bockwurst quält, schnell am Kiosk verschlungen, die Hände voller Staub und Schwielen, gönnen sich die Bayern schon zum Frühstück das kleine Extra. Die hermelingleiche, vornehme Weißwursthaut ist mit smaragdfarbenen würzigen Kräutern verziert, ganz anders als die der ordinären einfarbigen Kolleginnen. Mag die Currywurst Regentin des Ruhrpotts sein, so ist die Weißwurst Königin über Bayerns Schlösser und Seen, unschuldig-weiß wie Neuschwanstein und von der edlen Blässe Ludwig II., der sich schon am unvergleichlichen Geschmack labte.

Ihr Verzehr ist eine Kunst in vier Sparten. Da wäre zunächst das Beißen: Entgegen aller Gerüchte ist die Pelle der Weißwurst eßbar. Bei der edelsten aller Wurstsorten wird auch bei der schützenden Kutikula auf Qualität geachtet. Der Beißer gehört zur arbeitenden Schicht, unter Zeitdruck möchte er dennoch nicht auf seine Wurst verzichten und gönnt sich sein einziges Laster. Er führt die Wurst mit den Fingern, nachdem er das Ende in süßen Senf getunkt hat, zum Mund und beißt ein Stück ab, legt die Wurst dann auf den Teller zurück, kaut und nimmt Brezen oder Weißbierglas zur Hand. Wegen seiner von der Stallarbeit verunreinigten Finger kommt ein Abschälen aus Ehrfurcht vor der Reinheit der Wurst nicht in Frage.

Genau dies zelebriert hingegen der zweite Typus: der Scheibenschneider. Er trennt vorsichtig eine Wurstscheibe ab und entfernt mit Hilfe des Messers die Hülle. Den Geschmack noch auf der Zunge, widmet er sich in aller Ruhe dem nächsten Wurstteil. Dieser pedantische Typ hat einen Hang zur Nadolnyschen Langsamkeit und begreift das Mahl als seine wohlverdiente Ruhepause. Er nimmt sich Zeit, viel Zeit, die Brotzeit ist ihm ein Hort des stillen Genusses. Kurz: Eine akkurat-kontemplative Methode, die durchaus sozial geduldet wird.

Die offiziell-kultivierte Variante ist jedoch die folgende: Das gekrümmte Objekt der Begierde wird längs durchschnitten, die beiden Hälften werden auseinandergeklappt. Der Weißwurst-Chirurg seziert so vorsichtig, daß die Pelle an der Wurstunterseite unverletzt bleibt. Sodann hebt er mit der Skalpellspitze vorsichtig die komplette Wursthälfte aus der Hülle. Bei dieser technisch virtuosen Verzehrvorbereitung berührt der Mensch die Wurst nie mit den Fingern: Ihr Verhältnis bleibt steril. Hernach wird die Weißwurst ohne langwierige Unterbrechungen verschlungen. Ein eßhandwerklicher Trick überführt so die exotische Andersartigkeit der Weißwurst und die anarchische Kreativität ihres Verzehrs in gesellschaftlich sanktionierte Tischmanieren.

Zum Schluß das Zuzeln, die ursprünglichste Variante, weil der Zuzler in emotionalem Verhältnis zur Weißwurst steht. Oft wurde ihm in der Kindheit die bourgeoise Halbierungsmethode aufgezwungen, von der er sich, mündig geworden, bald befreite. Dünnster und reinster Darm bietet diesem Oralerotiker ein gefühlsechtes Erlebnis, wenn er den weichen, warmen Fleisch-Kräuter-Brei nach dem Durchbeißen der dampfenden Pelle schmatzend heraussaugt.

Diese Typologie kann nicht mehr als ein methodischer Anfang sein. Für eine präzise charakterliche Analyse gilt es den Blick aufs Detail zu richten: Schließt die Testperson beim Abbeißen ihre Augen, kaut sie von links nach rechts oder im Kreis, spült sie mit Bier nach oder läßt sie vor dem Schluck aus dem Weizenglas genügend Stimulanzzeit für die Säfte der Wurst? Klemens Brysch und Christian Kortmann