■ Normalzeit
: "Ja, Ilona!"

Am 15. Januar beerdigten wir Ilona, die Frau des Satanisten-Galeristen Jes Petersen, der gerade wegen Rauschgift im Knast sitzt, aber dort – immerhin – schlank, gesund und schön geworden ist. Jes ist – Jahrgang 1936 – 25 Jahre jünger als die 1910 geborene Ilona. Sie war bereits zweimal verheiratet gewesen, als sie ihn 1961 in Flensburg kennenlernte. Damals hatte der schleswig-holsteinische Landwirtssohn gerade mit Franz Jung zusammen den Sex-Pol-Verlag Petersenpress gegründet. Und Ilona hatte angefangen, bei der Grotesktänzerin Valeska Gert – in deren Berliner „Hexenküche“ sowie im Sylter „Ziegenstall“ – Tanz zu studieren. Sie war ihrem „Hang zur leichten Muse“ gefolgt, wie ihr Beerdigungsredner, der Theologe und Antiquar Bernd Gärtner, das auf dem Friedhof am Südstern ausdrückte. Er sehe seine Aufgabe – bei diesem letzten Freundschaftsdienst – im übrigen nicht darin, die Trauer (der Verwandten und Freunde) zu verstärken, so sagte er. Zumal die Verstorbene „in der Summe ein gutes Leben“ hatte. Ilona „war immer von strahlender Eleganz, eine Dame, meist ganz hell oder in leuchtendem Grün bzw. Rot angezogen“. In den fast fünfzig Jahren ihrer Ehe hatte Jes ihr täglich frische Blumen hingestellt, und wenn sie ihn drängte, etwas zu erledigen, hatte er – im Chor seiner Freunde, mit denen er meist im Vorderzimmer seiner Galerie zusammensaß – geantwortet: „Ja, Ilona!“

Während er mit Schröder-Sonnenstern und später Oskar Huth herumzog, arbeitete Ilona mit Wolfgang Neuss: im Keller des Hauses am Lützowplatz. Eine Zeitlang konnten sie es sich mit Jes' Gutshoferbschaft leisten zu verreisen – und tourten durch Südamerika. Zwar mischte Ilona sich nicht in den „chaotischen Galeriebetrieb“ ein, aber „sie war stets dabei, wenn es abends was zu feiern galt“. Das Bemerkenswerte daran war, daß „auch die wildesten Künstlergestalten ihr gegenüber immer die Contenance bewahrten“. So gesehen, lebte das Ehepaar Petersen relativ ausbalanciert durch die Zeitläufte: „Sie gingen zusammen durch dick und dünn – allen Unkenrufen zum Trotz!“ Die Petersenpress wurde inzwischen wiederbelebt: Mit der Zeitschrift Sklavenaufstand des Schriftstellers Wolfram Kempe, der dann auch – als Abordnung Ost quasi – bei der Beerdigung und der anschließenden Trauerfeier im „Zwiebelfisch“ am Savignyplatz – der letzten Stammkneipe von Oskar Huth, über den dort auch ein Buch verkauft wird – dabei war.

Etliche Trauergäste waren eine Woche später erneut auf dem Friedhof am Südstern versammelt. Diesmal galt es, die ehemalige taz- Kulturredakteurin Regine Walther-Lehmann zu beerdigen. Wieder war die halbe Gemeinde verschnupft – und überhaupt nicht in Trauerstimmung, aber es mußte sein. Krankheit und Tod verschonen niemanden, wie Bernd Gärtner sich ausgedrückt hätte. Diesmal hielt jedoch jemand anders die Trauerrede. Das ist aber eine andere Geschichte.

In dieser hier sei nur noch erwähnt, daß ich nach Ilonas Beerdigung meinen 85jährigen Vater anrief und von ihm erfuhr, daß soeben wieder zwei nahe Verwandte von uns gestorben waren. Er stöhnte, weil er sich für ihre Beerdigung einen Anzug leihen und in die Stadt fahren mußte – beides tat er nicht gerne. Wir fanden es beide seltsam, daß wir uns jetzt öfter am Telefon über Beerdigungserlebnisse austauschten. „Aber das ist eben so mit zunehmendem Alter“, meinte er. Vor gut zehn Jahren hatte ich es noch ziemlich bescheuert gefunden, daß die Alten im Vogelsberg-Dorf, in dem ich damals wohnte, sich fast täglich auf dem Friedhof trafen, um sich schon mal an den Platz zu gewöhnen. Helmut Höge