Es wird „nicht alles mehr so sein“ wie vorher

■ Christian Tomuschat, Leiter der Wahrheitskommission Guatemalas, über Gewissenserforschung

taz: In Südafrika hatte die Wahrheitskommission viel weitergehende Kompetenzen als Sie in Guatemala. Haben Sie sich in Ihrer Arbeit eingeschränkt gefühlt?

Tomuschat: Überhaupt nicht. Unser Mandat enthält auch die Aufgabe, Empfehlungen auszusprechen. Dabei ist uns kaum etwas verschlossen, und wir werden diesen Spielraum auch nutzen. Unter anderem werden wir etwas zum Thema Wiedergutmachung sagen.

Nur Empfehlungen?

Sicher. Aber auch Leute, die mit dem südafrikanischen Prozeß sehr vertraut sind, sagen mir, daß es letzten Endes darauf ankommt, ob solche Aussagen von der nationalen Gemeinschaft akzeptiert werden. Es muß eine politische Unterstützung geben. Wenn die vorhanden ist, dann werden Empfehlungen auch durchgeführt. Wenn nicht, scheitern auch obligatorische Maßnahmen.

In Südafrika wurde die Öffentlichkeit von Anfang an dazu gezwungen, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. In Guatemala fanden die Anhörungen hinter verschlossenen Türen statt.

Der ganze Rahmen war anders. Der Prozeß in Südafrika ist dadurch spannend geworden, daß sich die Täter durch das Aufdecken der Wahrheit eine Amnestie verdienen konnten. Das war in Guatemala nicht vorgesehen. Demgemäß gab es für die Verbrecher keinen Anreiz, bei uns aufzutreten. Es waren auch sehr wenige, die ihr Gewissen erleichtern wollten. Im wesentlichen sind nur die Opfer zu uns gekommen.

Kann man Ihnen Einseitigkeit vorwerfen?

Ich glaube nicht. Es waren alle aufgefordert, uns ihre Erfahrungen mitzuteilen. Aber natürlich ist es eine gewisse Schwäche unserer Faktengrundlage, daß wir hauptsächlich das Zeugnis von Opfern erhalten haben.

Das Militär hat der Kommission keinen Einblick in ihre Archive gegeben?

Die Armee hat eher gemauert und uns etwas auflaufen lassen. Das hat dazu geführt, daß vielfach Hintergründe nicht aufgeklärt werden konnten. Aber selbst ehemalige Staatspräsidenten haben uns gestanden, daß sie nie wußten, wie eigentlich der ganze Militärapparat funktioniert.

Das Parlament hat für Armee und Guerilla schon vorab eine Amnestie für alle mit dem Bürgerkrieg in Zusammenhang stehenden Verbrechen erlassen.

Eben nicht. Dieses Gesetz hat sehr weite Bereiche aus der Amnestie ausgespart. Folter und Völkermord zum Beispiel. Die Amnestie gilt nur für Taten, die unmittelbar mit den Kampfhandlungen zusammenhängen. Es gab schon Einzelfälle, in denen ein Amnestiegesuch vom Gericht abgewiesen wurde.

Halten Sie eine juristische Aufarbeitung des Bürgerkriegs für möglich?

Das Justizsystem ist sehr, sehr schwach. Regierung und Armee sind daran gewöhnt, daß man die Gerichte unter Druck setzen kann. Ich glaube nicht, daß die Staatsanwaltschaft in der Lage sein wird, größere Verbrechenskomplexe, die einen politischen Hintergrund haben, zur Anklage zu bringen.

Kann Ihr Bericht denn wenigstens das Nachdenken anregen?

Ich glaube nicht, daß er zu einer Revolution führen kann, daß es von einem Tag auf den anderen ein völliges Umdenken gibt. Es wird nach wie vor die alten Positionen geben. Aber ich denke schon, daß nach der Vorlage des Berichts nicht alles mehr so sein wird, wie es vorher war.