Wahrheitsbildchenverleger

Als Verleger von Tom und Fil sind sie bekannt geworden. Doch Dirk Rehm und Dirk Baranek veröffentlichen noch jede Menge andere Lebensbeschreiber  ■ Von Christoph Bannat

Bülowstraße 52, zweiter Hinterhof. Eines von ehemals 120 besetzten Häusern. 80 Bewohner. Vierter Stock. Besuch bei Dirk Rehm. Dirk Rehm ist Gründer des Comicverlags Reprodukt und mit Dirk Baranek, der Jochen Enterprises gründete, einer der innovativsten Herausgeber von Bildergeschichten in Deutschland. Lange Zeit nur mit Beachtung bezahlt, ermöglicht ihr Erfolg, den die beiden Jungverleger mit Toms „Touché“ und Fils „Didi und Stulle“ haben, die Realisierung vieler neuer Fanprojekte. Denn Rehm und Baranek sind als tatkräftige Fans, nicht als Geschäftsmänner in der Comicszene bekannt.

Noch vor wenigen Monaten wollte Dirk Rehm alles hinschmeißen. Trotz seiner insgesamt 40.000 verkauften Reprodukt-Publikationen war ein Tiefpunkt erreicht. Die Zeit schien rückwärts zu laufen, alle wollten nur noch Superhelden-Comics. Und Rehm rieb sich auf zwischen Gelegenheitsjobs für den Comicgiganten Carlsen, der Arbeit im Comicladen „Grober Unfug“ und dem Wunsch, gleichzeitig authentische Comicgeschichten zu veröffentlichen.

Es war eine Zeit, in der sich in der gesamten Comicbranche ein riesiges Loch zwischen Edelpublikationen und Billigheftchen auftat, und irgendwo in diesem Loch drohte Reprodukt zu verschwinden. Daß Reprodukt sich für schwierige Autoren wie Daniel Clowes, Mary Fleener, Julie Doucet, Debbie Drechsler und Adrian Tomine einsetzte, denen der Ruf anhaftet, lediglich ihre Langeweile zu kultivieren, machte die Situation nicht einfacher.

Begonnen hatte alles Anfang der 90er mit der deutschen Erstveröffentlichung eines Comicbandes der Hernandez Brüder. Damit zeigte Rehm allen potentiellen Nachahmern, wie leicht es ist, sich Lizenzen zu besorgen, und gleichzeitig machte er vielen deutschen Autoren Mut, ihr soziales Umfeld zu beobachten: Andreas Michalke, Monoux Zarifbaf oder Makuss Golschinski kümmerten sich in der Folge um eine deutsche Wirklichkeit zwischen Zivildienstjobs, Ska- Konzerten, HIV-Tests und Szene- Zusammenrottungen im Ratinger Hof, dem Störtebeker und Café Anal.

Verkauft wurden von diesen Heften zwischen 1.500 und 3.000 Stück. Spitzenauflagen liegen im deutschen Comicgeschäft bei 80.000 Exemplaren.

Für die Großverlage sind Jochen Enterprises und Reprodukt natürlich keine Konkurrenz. Rehm und Baranek sehen in den Carlsen-Käufern künftige Leser, und Carlsen ist der Verwaltungsaufwand für Kleinauflagen viel zu groß. In der Betreuung und Pflege der eigenen Soziotope liegt für Comickleinverlage die große Chance.

Reprodukt ist heute eine wichtige Anlaufstelle für den Autorencomic in Deutschland. Seit Anfang der 90er macht Dirk Rehm Mut, die eigene Geschichte zeichnerisch in die Hand zu nehmen.

Wahrhaftigkeit ist noch heute der wichtigste Anspruch Rehms an die Geschichten, die er verlegt. Und mit seinen erfolgreichen Heftchen, wie den „Diddi und Stulle“ Bänden finanziert er Experimente wie „Die Fliege“ des Franzosen Lewis Trondheim und die schizophrenen Traumbildgestalten des Spaniers Max, die in diesem Sommer erscheinen. Dirks freundschaftliche Fantreue bringt ihm nicht nur Exklusivrechte und Direktkontakte zu internationalen Zeichnern ein. Sie ist auch ein zuverlässiger Knotenpunkt im sozialen Netz von Übersetzern, Grafikern, Schreibern und Druckern, die – falls sie keine Katzenallergie haben – in der Bülowstraße immer einen Schlafplatz finden. Zu Reprodukt gehört seit langem auch Jutta Harms und seit neuestem Claudia Jerusalem. Mit ihnen beginnt jetzt der erfolgreiche Abstieg aus dem Dachgeschoßbüro in eigene Kellerräume der Bülowstraße 52, in denen dann auch Fils Atelier liegt.

Den Aufstieg in den eigenen Keller hat Dirk Baranek, mit Jochen Enterprises bereits vor zwei Jahren geschafft. Jochen Enterprises besteht aus: Dagie Brunert, Torsten Alisch und seit einigen Monaten Ulf Johnigk als Praktikant. Die beiden Verleger Dirk&Dirk lernten sich bei der Arbeit in Berlins wichtigster Keimzelle für Comic-Kultur, dem „Groben Unfug“, kennen.

Angefangen hat Dirk Baranek mit „Der Jochen“, einem Filmfestival Fanzine. Aus Ärger über die selbstgerecht unkritische Experimentalfilmerszene wurde täglich, ohne Filter, gnadenlos subjektiv, mit den Waffen von Klatsch und Tratsch, motzend besprochen, was im Kino gelaufen war. Doch erst als Dirk&Dirk gemeinsam Chester Brouwns „Playboy-Story“ im „Jochen“ herausbrachten, war Baraneks Comicleidenschaft voll entbrannt.

Und das heutige Jochen-Enterprises-Programm hat noch viel von der Mischung des ersten Jochen- Fanzines und jener gnadenlosen Subjektivität bewahrt. Die „wertvolle Zeichnung“ ist Baranek nicht so wichtig, Hauptsache, die Geschichten stimmen. Der Tom-Verleger hat eine Vorliebe für böswillige, krude und morbide Geschichten, mit einem Hang zum Ätzend- Peinlichen und direkter Körperlichkeit. Ol, Fil, Katz&Max Goldt, der Belgier Blanquet und die Amerikanerin Renee French stehen für dieses Programm. Jochen war der erste, der die P.G.H.-glühende Zukunft, Holger Fickelscherer und Anke Feuchtenberger entdeckte und das „Ost“-Comic- Kollektiv „Renate“ und Atak's Wundertüte förderte.

Baraneks Verlag beschießt das Spießertum mit dem sinnzersetzenden Humor, der phantastisch- morbiden Sorte, wie die des Schweden Max Andersson. Oder richtet sich mit „Psychonaut“ des Serben Alexander Zograf und Reinhard Kleists „Amerika“ direkt gegen eine kapitalistisch diktierte Weltordnung.

Dirk Baranek nervt dabei jeder heilige Ernst, und Leute, die nicht auch über sich selbst lachen können, haben bei ihm keine Chance.

Mit Peter Bagges Schmuddel- Grunger Heftchen „Krass“ und „XX Fäuleinwunder“ von Lilian Mousli und Evelin Höhne hat Jochen-Enterprises jetzt zwei weitere Bausteine seiner Infrastruktur gefunden. „Krass“ (von Carlsen übernommen) bietet deutschen Zeichnern einen Gastkommentar im Heft, und mit „Fräuleinwunder“ erscheint Deutschlands erste Heftserie für Zeichnerinnen.

Doch es gibt immer noch zu viele 50jährige Buchhändler, schimpft Dirk Baranek, die sich gegen Comics im Laden wehren. In der Bevölkerung hat sich der Comic als ernstzunehmendes Medium dagegen lange schon durchgesetzt. Kiepert am Ernst-Reuter- Platz ist in Berlin die Ausnahme, dort laufen die Comicumsätze gut. Doch Dirk&Dirk warten nicht, daß man sie ruft. Zur Zeit bereiten sie Berlins ersten Comicsalon „Slash“ für den Sommer vor.