Der Aufsässigen Rettung

■ Was passiert, wenn die Kuh (zwar nicht über den Mond, aber) über die Mauer springt

Surhuisterveen (taz) – Das Tier hat eine angenehme Zukunft: Zunächst wird die Kuh, die angeblich Lili heißt und eigentlich geschlachtet werden sollte, sich in einem Kuhkrankenhaus von den Strapazen der letzten Tage erholen. Wenn sie wieder richtig muhen kann, darf Lili ihr neues Zuhause beziehen, einen komfortablen Stall direkt neben dem Wohnzimmer der Journalistin Karin de Mik. Wie es dazu kam? Alles der Reihe nach.

Das Melodram mit glücklichem Ausgang begann in Surhuisterveen, einem kleinen Ort im niederländischen Friesland. Schlachtermeister P. Kamminga begab sich wie gewöhnlich zur Arbeitsstätte. Am Vormittag wollte er Kuh Lili vom Leben zum Tode befördern. Doch das eigenwillige Tier konnte sich aus den Klauen des Metzgers befreien, raste durch das Schlachthauslabyrinth und fand sogar eine offene Tür. Lili schlug instinktiv den richtigen Weg ein. Nur ein zwei Meter hoher Zaun trennte sie noch von der Freiheit. Kein Problem für Lili. Ein kurzer Anlauf, und die Kuh hopste zum Entsetzen des Besitzers über die Absperrung.

Schlachter Kamminga suchte vergeblich die Umgebung nach der Entlaufenen ab, holte in seiner Verzweiflung die Polizei. Doch auch die konnte das Vieh stundenlang nicht finden. War Lili in einen der vielen Wassergräben gefallen? Nein, sie hatte sich einfach auf die Weide zu über hundert Artgenossen gestellt. Da fiel sie nicht auf. Bis Meister Kamminga zufällig vorbeikam. Lili wurde nervös und ergriff erneut die Flucht. Damit war die Kuh enttarnt.

Inzwischen hatte auch Karin de Mik, eine Mitarbeiterin des eher konservativen NRC Handelsblad, von der ungewöhnlichen Kuhjagd in Friesland erfahren. Flugs war sie zur Stelle. Keineswegs der amüsanten Geschichte wegen; in der FAZ läse man ja auch keinen Bericht über eine tolle Schweinejagd in Nordhessen. Doch die Reporterin fühlte sich berufen, der eigenwilligen Kuh das Leben zu retten. De Mik ist nämlich nach eigenen Angaben seit über zwanzig Jahren überzeugte Vegetarierin. „Die Kuh hat solche Lebenslust gezeigt“, erklärte de Mik, „dafür muß sie belohnt werden.“ Was heißen soll: „Het mag de rest van zijn leven geen gevaar meer kennen.“ Bis zu ihrem Lebensende braucht Lili also keine Angst mehr vorm Schlachtermesser zu haben.

Nur mußte die Aufsässige erst mal eingefangen werden. Was gar nicht so einfach war. Selbst als Lili von Betäubungspfeilen getroffen wurde und schon heftig blutete, sprang sie ihren Häschern noch davon. Da half nur gutes Zureden. Und Karin de Miks große Stunde war gekommen: Über Megafon erfuhr die ängstliche Lili , daß sie soeben für 1.600 Gulden (ca. 1.400 Mark) gekauft worden war. Daraufhin war die Hatz bald beendet. Lili begab sich in die vorübergehende Obhut ihrer Peiniger. Die tierfreundliche Journalistin organisierte Lilis Überführung ins besagte Krankenhaus für Kühe im friesischen Zandhuizen und gab bald darauf bekannt, daß sie es sich in Zukunft vor dem TV-Set mit einer gar nicht so blöden Kuh bequem zu machen gedenke.

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All dies war in der Volkskrant zu lesen, einer linksliberalen und überaus seriösen Zeitung aus Amsterdam, die schon durch ausführliche Texte über die komplizierte Arbeit eines Hundepsychiaters und eine Reportage aus einem Wellensittich-Altersheim auffiel. Wahrscheinlich gehört das innovative Blatt zur täglichen Pflichtlektüre der Drehbuchautoren des Disney-Konzerns. Irgendwo müssen die Ideen ja herkommen. In Deutschland wird man für derlei Geschichten entweder die wuchernde Fake-Industrie verantwortlich machen oder die Tat einer autonomen, gleichwohl nicht ganz zurechnungsfähigen Tierschutzaktivistin zuschreiben.

So überaus sympathisch ist das Nachbarland: Dort gehören die wirklich kuriosen Abenteurer zum Establishment. Und das darf nach Herzenslust belächelt werden. Carsten Otte