■ Auf Augenhöhe
: Was sag+ ich der Mutter?

Ich bin ein Straßenbahn-Fan. Dieses Bekenntnis lege ich immer wieder gerne ab.

Am liebsten mag ich die ganz alten Bahnen, wie es sie in Berlin gar nicht mehr gibt. Aber in München erwischt man in seltenen Glücksmomenten eine alte, rumpelige Tram. Ich mag ihr nostalgisches Bimmeln und die quietschenden Bremsen. Richtig gut ist auch, wenn man eine Straßenbahn noch regelrecht erklimmen muß. Steile Stufen an den Eingangstüren gehören einfach zum echten Tram- Feeling. Selbst die modernen Bahnen in Berlin warten selten mit Niederflurluxus auf. Allerdings, das bin ich ja gerne bereit einzuräumen, mit Kinderwagen mußte ich bislang keine Tram entern. Vom Rollstuhl ganz zu schweigen. Und meine alte Vermieterin war auch immer froh, wenn ihre Knie das Abenteuer Einstieg mitmachten.

Das schönste an der Straßenbahn ist der Blick. Man rattert nicht durch den Untergrund wie bei der U-Bahn, man schwebt auch nicht auf Stelzen über den Dingen wie häufig bei der S-Bahn. Die beiden kleinen Altbauten zwischen Alexanderplatz und Hackeschem Markt, die zwischen den Hochhäusern so verloren, ja fehl am Platz wirken, die waren mir von der S-Bahn aus nie aufgefallen. Es macht Spaß, mit der Tram scheinbar durchs Gewimmel zu fahren oder mitten über den Alex. Die Stadt ruckelt draußen vorbei und sieht anders aus.

Auch den Konkurrenten Bus schlägt die Straba – so sagt man, glaube ich, nur in Süddeutschland – um Längen. Besser gesagt: seitenweise. Die weiche Federung und stete Rechts-links-Schaukelei der Busse macht Lesen unmöglich. Schon ein längerer Blick auf die Überschriften (der taz natürlich) oder gar ein ganzer Klappentext, und schon wird mir übel. Deshalb meide ich auch das Oberdeck der Doppeldeckerbusse. Dort reicht allein das Schwanken, um mir die Farbe aus dem Gesicht zu treiben. Und dann mit halb umgestülptem Magen während der Fahrt die enge Treppe nach unten zu bewältigen, kann gefährlich werden (für die Mitfahrenden).

Vor allem aber, und das ist das wirklich Wunderbare an der Straßenbahn: Sie ist in linken Kreisen absolut politisch korrekt. Mein Bekenntnis zur Tram ist gleichzeitig eines für den öffentlichen Nahverkehr – und damit gegen das Auto! Außerdem ist die Tram umweltfreundlich und viel billiger als U-Bahnen – Aussagen, die bei Umweltverbänden und den Grünen gleichermaßen gut ankommen.

In diesen Tagen allerdings bleibt mir meine Begeisterung im Halse stecken. Soll ich einer Mutter, die vor kurzem ihren 15jährigen Sohn durch einen Tram-Unfall verloren hat, mit meinen Nostalgiegefühlen kommen? Der Junge aus dem gutbürgerlichen Westbezirk Steglitz lief im Ostbezirk Marzahn vor eine Straßenbahn und starb am Unfallort.

1998 kamen drei Menschen in Berlin bei ähnlichen Tram-Unfällen ums Leben. Es dürfte müßig sein vorzurechnen, wieviel mehr Kinder im Autoverkehr tödlich verunglücken, wie viele U-Bahn- Unfälle tödlich ausgingen. In Berlin stellen sich jetzt andere Fragen: Sind Straßenbahnen gefährlich? Schließlich fahren sie schnell und können auch nicht ausweichen. Oder sind die Westberliner schlicht zu wenig an Straßenbahnen gewöhnt, weil es sie nur im Ostteil der Stadt gibt? Es kann wohl nicht sein, daß tödliche Opfer gebracht werden, um den richtigen Umgang mit Straßenbahnen in Westberlin zu üben.

Dennoch, ich halte an meinem Bekenntnis fest: Ich bin ein Straßenbahn-Fan. Aber ich bin froh, der Steglitzer Mutter in diesen Tagen nicht gegenübertreten zu müssen. Jutta Wagemann