Zwischen den Rillen
: Sinfonie der Savanne

■ Afrika als Wille und Vorstellung: Ray Lema und Abdullah Ibrahim

Der Terminus „Afrikanische Klassik“ ist bisher noch nicht vergeben worden. An wen auch? Zwischen Afrika, der Wiege aller U-Musik, und der europäischen Vorstellung von Klassik sind nicht nur im Plattengeschäft erhebliche Entfernungen zurückzulegen.

Diese Distanz zu überbrücken, hat sich Ray Lema zur Aufgabe gemacht. Im Kongo aufgewachsen, wo er zunächst eine Ausbildung zum katholischen Priester durchlief, war ihm Beethoven von Kindesbeinen an so nah wie die Beatles und Bach nicht fremder als James Brown. Und während er in den siebziger Jahren in Kinshasa das staatliche Ballett leitete, recherchierte er in wissenschaftlicher Feldforschung die traditionellen Klänge des Landes.

Warum also nicht musikalisch zusammenführen, was biographisch beieinanderliegt? Seit 15 Jahren lebt Ray Lema, einst vor der Diktatur Mobutus ins Exil geflüchtet, nun schon in Paris, wo er an neuen Ausdrucksformen feilte. Sein jüngstes Opus „Traum der Gazelle“ ist der Traum von der Versöhnung der Gegensätze.

An der Annäherung von Afrika und Klassik haben sich schon andere abgearbeitet, vorzugsweise Europäer und Amerikaner. So hat das Kronos Quartett aus San Francisco, dem Klassik-Cross-over ohnehin wenig abgeneigt, mit „Pieces of Africa“ eine Synthese aus europäischer Klassik und afrikanischer Tradition versucht. Der französische Komponist Hughes de Courson scharte vor einigen Jahren Musiker aus Gabun sowie klassische Kollegen aus Europa um sich mit dem Ziel, Johann Sebastian Bach mit afrikanischen Rhythmen und Gesängen anzufreunden. „Lambarena“ hieß das Werk, eine Hommage an Albert Schweitzer und sein Hospital.

An solche Vorgänger knüpft Ray Lema mit „The Dream of the Gazelle“ an. Vier Stücke hat er in Paris eingespielt, den thematischen Hauptteil, der sich in vier Teile plus Präludium und Schluß gliedert, nahm Lema in Schweden auf, begleitet vom Sundsvall-Kammerorchester. Mit großem Orchesteraufgebot im Rücken, träumt er von Gazellen, Giraffen und anderem Großwild – inspiriert, wie es im Booklet heißt, von einer Reise, die er zwanzig Jahre zuvor durch den Nationalpark von Virunga im damaligen Zaire unternahm.

Die Gazelle inmitten ihrer Jäger sieht Ray Lema als Symbol für die bedrohte Existenz des Menschen, sie bildet das Hauptthema des Werks. Mit Klavierspiel und getragenem Suaheli- Gesang beginnt, was sich später zu orchestralem Pathos aufschwingt, mit dramatischem Bläserecho, Trommelwirbel und Paukenschlag. Aus der Tiefe des Raums tauchen afrikanische Chöre auf, Stimmen und Stimmungen aus der Savanne, Bilder einer Safari, mit Verweisen auf die Flora und Fauna Äquatorialafrikas.

Nicht „Peter und der Wolf“, sondern Ray und die Gazelle: Ein bißchen erinnert diese Hörmusik an Tschaikowsky oder auch Gershwin, nur daß der Komponist nicht aus den Quellen der Neuen Welt, sondern aus jenen der ganz ganz alten schöpft. Ein bißchen auch „Karneval der Tiere“, wie die Illustration des Booklets nahelegt: Sie zeigt Ray Lema, umgeben von holzgeschnitzten und handbemalten Tierfiguren: Zebra, Emu, Nashorn, Elefant.

Klassisch beeinflußt war auch das Klavierspiel Abdullah Ibrahims schon immer. Der südafrikanische Jazz-Pianist, vor seinem Übertritt zum Islam unter dem Namen Dollar Brand bekannt, lebt wie Ray Lema im Exil, allerdings in New York. Seine Jazz- Improvisationen wiesen schon früher Einflüsse englischer Choralmusik oder europäischer Romantik auf, wie sie auch ganz selbstverständlich mit afrikanischer Rhythmik und arabischen Elementen spielten.

Aus Abdullah Ibrahims Gesamtschaffen, mehr als drei Dekaden umfassend, schöpfte der Schweizer Komponist Daniel Schnyder die Themen, die er, im Beisein des Meisters, für ein klassisches Streichorchester arrangierte. Aufgezeichnet wurden die Aufnahmen in der historischen Abtei von Payerne in der Schweiz, mit 20 Musikern des von Claudio Abbaddo gegründeten Jugendorchesters der EU.

Wie hingetupft wirken die Töne von Abdullah Ibrahims Klavier, von Streichern umschmeichelt; träumerische Impressionen, die sich verdichten zu einem Gesamtbild in Pastell. Gelegentlich klingt in den Jazz- Sprenkeln Erinnerung an das südafrikanische Erbe an.

Doch Abdullah Ibrahim verzichtet bewußt auf jede eindeutige Geste: Afrika ist bei ihm kaum mehr als Wille und Vorstellung, eher ein spiritueller Gedanke als konkrete Materie. Mit orchestralem Gewicht beschwert, erhält dieser Gedanke eine etwas angestrengte Ernsthaftigkeit. Doch erleichtert der Kunstgriff einem klassisch geschultem Publikum den Zugang, dem der afrikanische Kontinent ansonsten so fern läge wie ein fremder Planet. Daniel Bax

Abdullah Ibrahim: „African Suite“ (Enja/Edel Contraire)

Ray Lema: „The Dream of the Gazelle“ (Detour/eastwest)