"Das nenne ich Selbstreferenz!"

■ Sie beschallten die Diskotheken mit Ballermann-Techno. Ihre Botschaft war "Bier, Bier, Bier"! Für ihr jüngstes Produkt hat sich das britische Tanzflurtrio Underworld neu designt. Bandkonzeptualist Karl Hyde

Die Gruppe Underworld ist ein Betriebsunfall, entstanden aus einer Laune des Graphik-Designer- Kollektivs „Tomato“. Richtig?

Karl Hyde: Einerseits. Andererseits hat sich alles etwas anders entwickelt, als ich persönlich mir das damals vorgestellt hatte. Seit ich mich erinnern kann, also seit ich 11 Jahre alt bin, habe ich gezeichnet, gemalt, mir in den Kopf gesetzt, Künstler zu werden. Ich bin letztlich desillusioniert worden von der Kunstwelt und von ihrer Art, die Künstler wie Heilige zu verehren.

Ihr Ausweg daraus war der Baller-Techno von Underworld, kombiniert mit der gesammelten Erfahrung aus der kreativen Werbebranche.

Mir erschien die Idee einer Band einfach geeignet, Front gegen den Kunstbetrieb zu machen.

Ein Luxus, den Sie sich erlauben konnten, weil Ihre Werbeagentur zwischenzeitlich Furore gemacht hat. Sie haben Werbespots für Levi's, Nike, Adidas und Pepsi produziert.

Für mich stellt sich das Ganze recht einfach dar: Es gibt Menschen, die arbeiten für Geld, und es gibt Menschen, die arbeiten, weil sie Spaß an ihrer Arbeit haben. In dem Moment, wo sie sich trauen, ihre eigenen Ideen und Potentiale freizusetzen, wird es spannend. Ich sage das, weil die Gründung der Werbeagentur „Tomato“ für mich ein erneutes Zulassen von graphischer Arbeit bedeutete. Ich merkte, daß es immer nur um Sprache geht. Und Sprache in diesem Sinne heißt Kommunikation. Sei es Kommunikation über das Sprechen selbst, die Graphik oder die Musik.

Reden wir nicht eher über Konversation? Underworld stehen für eine extrem konsensfähige Art von gehobenem Party-Techno.

Und wenn schon? Auch Party ist ein Sprache. Wir singen „Bier, Bier, Bier“, und die Massen tanzen dazu. Ich find' das gut.

Bier, Bier, Bier – ist das Ihre Botschaft an die Welt?

Ich glaube bloß, daß Kommunikation immer wieder über einfache Regeln funktioniert. Da ist das Schild des Schuhmachers, das einen Schuh zeigt, und da ist der Unterschied zwischen einer Stadt wie Wien, wo Typographie im öffentlichen Raum spannend stattfindet, und einer Stadt wie Hamburg, wo es keine guten Buchstaben mehr zu sehen gibt. Ich bin für gute Buchstaben und für spannende Inszenierungen. Egal, ob im Musikalischen oder anderswo.

Wie hat Ihr Hit „Born Slippy“, Underworlds Beitrag zum Soundtrack des erfolgreichen Films „Trainspotting“, das Leben der Beteiligten verändert. Wissen Sie jetzt, wie der Hase läuft?

1996, das Jahr des Berühmtwerdens und des Glücks, hat uns vor allen Dingen wieder mit den Füßen auf der Erde ankommen lassen. So ein Hit löst nämlich Spannungen aus, die man sich beim besten Willen vorher nicht auszumalen imstande ist. Das Interessante dabei ist, daß jeder Beteiligte plötzlich sein Ego für wichtiger hält als das ursprünglich Ausgemachte. Das ist eine menschlich sehr interessante Erfahrung, zumal ich sie ja selber durchgemacht habe. Interessant war für uns drei vor allem, daß wir wider besseres Wissen mit einem Mal Eitelkeiten zelebrierten, die wir vorher nie für möglich gehalten hätten. Jetzt wissen wir, daß Erfolg, Limousinen und der ganze Quatsch in erster Linie deinen Geist und deine Psyche bedröhnen, nicht aber tatsächlich die Lebensqualität verbessern. Mit unserer Werbeagentur machen wir auch gutes Geld, besseres vielleicht sogar, aber nie hat uns der Erfolg von „Tomato“ so derangiert wie „Born Slippy“. Aber wir sind ja mittlerweile alle schon um die Vierzig. Da geht man gern auch mal einen Schritt zurück.

Warum legen Underworld dann noch einen drauf und veröffentlichen mit „Beaucoup Fish“ ein Album, das wie das Freizeitprodukt gelangweilter Hip-Werber wirkt?

Wenn es heißt, es gäbe entweder den einen Weg oder den anderen, dann gibt es immer noch einen dritten. Der erste Weg war der, einfach aufzuhören nach dem Erfolg. Das haben wir ja auch tatsächlich gemacht, wenngleich nur vorübergehend. Der zweite war, sich auf die alternative Arbeit zu stürzen: Wir haben Werbespots gedreht und Vorlesungen gehalten, Kunstkataloge über „Tomato“ mit Vorworten versehen und sind als eigenständige, voneinander unabhängige DJs aufgetreten. Am spannendsten für mich war allerdings eine „Tomato“-Ausstellung in Tokio. Faszinierend war für mich vor allem, wie die Japaner englisch sprachen: superrational auf der einen Seite, zusammengehauen auf der anderen. Grammatikalisch immer falsch. Ich wurde Zeuge einer wundervollen sprachlichen Naivität, was wiederum für Menschen wie mich im höchsten Maße inspirierend ist.

Ist „Beaucoup Fish“ also bloß ein anderes Wort für Sushi?

Ich fand es einfach ungemein spannend zu sehen, wie eine reiche, ostasiatische Kultur sich der westlichen Kultur annimmt, sie kopiert und im Akt des Kopierens etwas Neues, etwas Eigenes kreiert. Nichts anderes reflektiert unsere Musik. Ich hab' in Tokio die meiste Zeit rumgehangen, wie ich es auch sonst so tue, denn aus der Trägheit entstehen die brillantesten Ideen. Ich habe Tagebuch geführt, bin mit dem angeschalteten Tonbandgerät durch die Straßen gegangen und habe den Alltagslärm aufgenommen, habe Spurensicherung betrieben. Die Idee der „Tomato“-Installation war ja auch, eine metaphysische Achse zwischen London und Tokio herzustellen.

Wenn man Sie so reden hört, fragt man sich, weshalb Sie dann noch Musik machen.

Das Interessante ist doch: Niemand zwingt mich, auf der Bühne zu stehen oder eine Platte aufzunehmen. Was lag also näher, als es trotzdem und gerade deshalb zu tun? Ohne die „Tomato“-Erfolge wäre ich entweder gezwungen gewesen, bis in alle Ewigkeiten weiter Musik zu produzieren, ein Umstand, der mich unglücklich gemacht hätte, oder ich hätte aufgrund desselben Drucks aufgehört. Ich mache aber Platten, eben weil ich sie nicht machen muß. Wir haben ja auch Musik gemacht, die wir ausschließlich für unsere Installationen genutzt haben. Wir sind frei.

Was gibt Ihnen die Selbstsicherheit, sich dermaßen in Szene zu setzen?

Oh, das war der Alkohol. Ich bin lange Zeit Alkoholiker gewesen. Aber ich trinke nicht mehr. Ich habe den Alkohol dazu benutzt, um mich in inspirierende Situationen hineinzubeamen. Zehn Jahre lang habe ich extrem viel getrunken, ich würde sogar sagen: bewußt viel getrunken. Was ich faszinierend fand und teilweise auch systematisch gesucht hatte, war, meine Wahrnehmung zu verändern. Um mich dann hoffentlich am nächsten Morgen daran zu erinnern.

Sind Sie also ein Konzept-Alkoholiker gewesen?

Absolut sogar. Als ich noch zur Universität gegangen bin, da habe ich morgens, oder besser gesagt mittags, immer diese kleinen Zettel in meiner Hose gefunden. Phantastische Konzepte standen darauf und poetische Miniaturen.

Und vermutlich auch viel, viel Schrott.

Das auch. Aber wichtig sind ja die guten Dinge, die einem wie ein Geschenk am nächsten Morgen in die Hände fallen. Die man sonst vergessen hätte. Deshalb sage ich ja auch: Nimm immer einen Stift mit, und frage notfalls nach einem Zettel. Im übrigen entscheiden solche Handlungen im Zweifelsfall, ob man Millionär wird oder nicht. Die wenigen guten Ideen, auf die man nach zehn Bier kommt, sind Ideen, auf die man nie im nüchternen Zustand käme.

Die Musik von Underworld ist aber destillierte Techno-Musik, viel zu abgebrüht, als daß sie als Ergebnis willenloser Saufabende durchginge.

Es gibt ja auch so etwas wie Disziplin. Stehe trotzdem früh auf. Wer in der Werbebranche arbeitet, weiß, wovon ich rede. Natürlich hat auch die Straightness, die wir aus der Werbung mitgenommen haben, zur finalen Fassung von Underworld beigetragen. Das Entscheidende ist: Weder brauchten wir den Erfolg, noch wollten wir ihn zwangsläufig haben. Daß wir uns umgekehrt nicht dagegen sperren und den Erfolg als weitere Facette des Lebens ansehen, ist für mich kein Widerspruch. Ich habe immer am meisten jene Musik gemocht, die meinen Körper hat mitgrooven lassen. Kraftwerk und Dub.

Reden wir im übertragenen Sinne von Swing?

Ja, wir reden von Swing. Mein Freund Karl Barthos erzählte mir einmal, wie er mit Kraftwerk im New Yorker Apollo-Club aufgetreten ist, dem schwarzen Epizentrum des Groove. Und jeder kam, um diesen weißen dünnen Europäern seinen Respekt zu erweisen. Eigentlich unglaublich, doch für mich ist das nur nachvollziehbar. Ich denke einfach: Entweder muß einer unfaßbar naiv sein oder aber unfaßbar zynisch.

Also jung oder alt?

Es gibt auch 50jährige, die noch unglaublich naiv sind.

Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang einen Künstler wie Andy Warhol?

So, wie er durchschaute, wie Werbung funktioniert, hat seine Kunst enorm davon profitiert. Die vielen Versionen von Bildern. Die Kommunikation. Das Abgezockte. Das bewundere ich. Ich mochte zum Beispiel diesen Siebdruck von Andy Warhol, auf dem er ganz simple Getränkebons aus seiner eigenen Diskothek, dem Studio 54, wandfüllend aufgeblasen hatte: Das nenne ich Selbstreferenz – auf dem eigenen Mist gewachsenes Zitat und Souveränität zugleich. Wenn ich mir die Leichtigkeit anschaue, die selbst ein so berechnendes Werk noch zu vermitteln weiß, dann weiß ich auch, daß ich einem Maestro gegenüberstehe, vor dem ich die Waffen strecke.

Interview: Maximilian Dax