"Für ein Menschenleben alles versuchen"

■ Die Grüne Abgeordnete Claudia Roth über ihren Auftritt vor dem Gnadenausschuß für den wegen Mordes hingerichteten Karl LaGrand in Arizona und die Bemühungen der Bundesregierung, das Leben der beiden

taz: Sie sind als letzte der offiziellen deutschen Delegation im Gefängnis geblieben, bis die Nachricht vom Tod Karl LaGrands verkündet wurde. Warum eigentlich?

Claudia Roth: Ich konnte Karl LaGrand kennenlernen und zweimal relativ lange mit ihm reden. Ich habe mich seit Jahren gegen die Todesstrafe eingesetzt, aber hier hat die Todesstrafe plötzlich ein Gesicht bekommen, Augen bekommen, einen Mund, eine Sprache. Ich fand das angemessen, dann nicht nach ein paar Stunden wieder abzuhauen. Ich hatte allerdings für mich entschieden, daß ich nicht mit in den Todestrakt gehe. Ich wollte ihn so in Erinnerung behalten, wie ich ihn Stunden vorher noch gesehen hatte.

Man hat auf den Fernsehbildern gesehen, daß Sie das alles emotional ziemlich mitgenommen hat. Wie war das für Sie, in dem Gnadenausschuß aufzutreten?

Ich stand da und habe gedacht, ich muß so gut reden, wie ich überhaupt kann. Da sitzt eine Jury, die an diesem Tag noch entscheidet, ob der Mensch, der drei Meter entfernt mit Ketten gefesselt in einem Käfig sitzt, eine Chance bekommt oder nicht. Das ist etwas völlig anderes, als im Bundestag zu reden oder auf einer Grünen Bundesversammlung. Ich wollte mit dazu beizutragen, daß diesen vier Leuten die Ohren, die Herzen und der Kopf aufgehen, und daß sie zulassen, Argumente abzuwägen.

Was ging in Ihnen vor, als die Jury das alles ablehnte?

Aus allen Beiträgen ist klar geworden, daß es sich tatsächlich um einen groben Verstoß gegen internationales Recht handelte. Und dann stellt sich der Staatsanwalt hin und sagt: Arizona-Recht ist Recht aus Arizona, Punkt. Als die Anhörung vorbei war, dachten wir, die Jury würde jetzt ein paar Stunden mit sich hadern, die Argumente abwägen. Wir haben schon überlegt, was wir solange machen. Es hat maximal eineinhalb Minuten gedauert. Das hat mich sprachlos gemacht.

Es gab ja vorher eine Debatte in Deutschland, ob die Bundesregierung nicht versuchen sollte, eine einstweilige Anordnung beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu erwirken. Das hat das Auswärtige Amt nicht gewollt. Wie sehen Sie das im nachhinein?

Ich glaube, das war wirklich nicht die Entscheidung des Auswärtigen Amtes, sondern der Regierung. Ich glaube allerdings, daß auch im Verhältnis zu einem befreundeten Staat die kritische Freundschaft Grundlage sein muß.

Die Bundesregierung hätte also nach Den Haag ziehen sollen?

Ja, schon vor Jahren. Das kleine Paraguay hat das in einem vergleichbaren Fall ja gemacht.

Allerdings ohne Ergebnis, der Betreffende ist trotzdem hingerichtet worden.

Ja, aber soll ich denn einen rechtlichen oder politischen Schritt nur dann machen, wenn ich sicher bin zu gewinnen? Oder muß ich nicht für ein Menschenleben alles versuchen? Es geht ja weiter: Nächste Woche geht es um den Bruder Walter LaGrand.

Und dann?

Muß Bonn den Druck erhöhen, mit allen Mitteln.

Am Mittwoch sind in den USA nicht nur Karl LaGrand, sondern auch zwei weitere Menschen hingerichtet worden. Ist es nicht ein seltsames Gefühl, sich so sehr für einen Menschen einzusetzen, weil der nun deutscher Herkunft ist, und gleichzeitig zu wissen, daß es da andere gibt, um die sich gar niemand kümmert?

Es gab halt in diesem Fall Ansatzpunkte für die deutsche Regierung, um einzugreifen, weil die Brüder nun einmal deutsche Staatsbürger sind. Ich hefte mir den Vorwurf der Deutschtümelei nicht an – denn ich glaube, der Einsatz hat insgesamt dazu beigetragen, öffentliche Sensibilität für das Thema zu gewinnen.

Sie selbst fliegen zurück nach Deutschland. Kommen Sie nächste Woche wieder, wenn es um Walter LaGrand geht?

Nein. Unsere Aussagen vor dem Gnadenausschuß sind aufgezeichnet worden, sie gelten für beide. Interview: Bernd Pickert