"Eine demokratische Familie"

■ Günay Darici ist Kurdin, ihr Mann Cafer Türke. Der derzeitige türkisch-kurdische Konflikt trennt die beiden studierten Philosophen jedoch nicht Von Barbara Bollwahn de Paez Casanova

Von Barbara Bollwahn de Paez Casanova

Als junger Mann dachte Cafer Darici, daß Kurden wild und schmutzig seien. In einer kleinen Stadt in der Südtürkei, wo er aufwuchs, bekam er das ständig zu hören. Niemand erzählte ihm etwas anderes. Kurden kannte er damals nicht. Als er sich dann 1984 an der Universität in Erzurum in der Osttürkei in eine kurdische Frau verliebte, bekam er großen Ärger mit seiner Familie. „Du kannst keine kurdische Frau heiraten“, sagten seine Eltern und Geschwister ihm immer wieder. „Kurden haben so viele Probleme, du wirst sie auch haben“, prognostizierten sie.

Seit 1989 ist der Türke Cafer Darici mit der Kurdin Günay verheiratet. Längst weiß er, daß die Vorstellungen seiner Familie von den „Wilden“ nicht stimmen. Mittlerweile hat er viele kurdische Freunde und kämpft für deren Interessen. Seine 33jährige Frau erzählt, daß sich das Denken der Familie ihres Mannes geändert hat. „Jetzt sagen sie, daß auch kurdische Menschen Rechte haben“, sagt sie. Nachdem die beiden gemeinsam Philosophie studiert hatten, zogen sie nach Kars in Nordkurdistan, wo nur etwa fünf Prozent Türken leben.

Doch ganz unrecht hatte die Familie von Cafer Darici nicht. Der 38jährige bekam in der Tat Probleme. Aber nicht mit seiner kurdischen Frau, sondern mit der Polizei, weil er in Artikeln für eine Lokalzeitung über die Kurdenproblematik schrieb. Mehrere Male war er im Gefängnis. Auch seine 33jährige Frau, die sich in prokurdischen Parteien engagierte, verbrachte mehrere Monate hinter Gittern. Als ihr Mann zu einer 15jährigen Haftstrafe verurteilt wurde, beantragten sie politisches Asyl in Deutschland. Seit zwei Jahren leben sie mit ihrem achtjährigen Sohn Doguș in Berlin.

In der Neubauwohnung im achten Stock in der Johannistaler Chaussee in Neukölln erinnern nur kleine Details an die Heimat: Einige Bücher in türkisch, Kessel für den täglichen Tee. An den blutigen Kampf in der Türkei erinnern nur das Foto eines kurdischen Schauspielers, der die Türkei verlassen mußte, und die Zeichnung einer Frau mit einem Kind auf dem Rücken, die Cafer Darici im Gefängnis für seine Frau zum Internationalen Frauentag gemacht hat. Das Gedicht „Ich bin ein Mensch“ handelt von Folter und Tod.

Günay und Cafer Darici haben eine simple Erklärung dafür, daß sie trotz der Konflikte zwischen der türkischen Regierung und den Kurden glücklich miteinander sind. „Wir haben Philosophie studiert und wir denken“, sagt Günay Darici, die fünfzehn Verwandte in den letzten Jahren verloren hat. Ihr Mann, der wie sie vom „Führer Öcalan“ spricht, unterstützt die Forderung der Kurden nach Unabhängigkeit. „Es gibt 167 Länder in der Welt“, sagt er, „ein Land mehr und das Problem wäre gelöst“.

Während das Philosophen-Ehepaar nach Kant und dem Recht auf Selbstbestimmung lebt, gerät ihr Sohn gelegentlich in Konflikte. Neulich sagte er zu seiner Mutter: „Mein Vater unterdrückt dein Volk.“ Die Gegenfrage der Mutter „Was ist dein Volk?“ konnte er nicht beantworten. Er fühlt sich als Türke und Kurde zugleich. Nach zwei Jahren in Deutschland, in denen er perfekt Deutsch gelernt hat, auch etwas als Deutscher. „Wir wollen unser Kind nicht unterdrücken“, sagt Günay Darici. „Wenn er älter ist, kann er selbst entscheiden, was er sein will.“

Während der Sohn bereits voll integriert ist und sich in der Schule eher unterfordert fühlt, sind seine Eltern noch am Umlernen. Cafer Darici macht bei Siemens eine Umschulung zum Elektroniker, seine Frau möchte, wenn sie gut genug Deutsch kann, Philosophie an der Humboldt-Universität studieren. Doch im Moment weiß sie nicht, ob sie die Sprachprüfung Anfang März bestehen wird. „Meine Psychologie ist zur Zeit nicht gut“, sagt sie.

Um den Kontakt zu Landsleuten in Berlin zu halten, und um unterrichten zu können, gibt sie Alphabetisierungskurse im „Kurdischen Elternverein“. Dort hatte sie die 18jährige Kurdin Sema A. kennengelernt, die vergangene Woche im israelischen Konsulat erschossen wurde. „Sie war keine Terroristin“, sagt sie. Gewalt lehnt sie, ebenso wie ihr Mann, ab. Doch die beiden verstehen die Verzweiflung mancher Kurden, die selbst nicht davor zurückschrecken, sich zu verbrennen.

Günay und Cafer Darici sind sich einig in Sachen Politik. Nach Unterschieden befragt, müssen sie lange überlegen. „Wenn mein Mann kocht, gibt es wenig Fleisch, wenn ich koche, gibt es viel Fleisch“, sagt Günay Darici und lacht. Den letzten Streit hatten die beiden, als sie heirateten und versuchten, ihre zwei Kulturen unter einen Hut zu bringen. Doch auch für dieses Problem fanden sie eine Lösung. Sie feierten ein türkisch- kurdisches Fest. „Wir sind eine demokratische Familie“, sagt Günay Darici.