Zehn offene Fragen zum Konsulatssturm

Fast zehn Tage nach der Bluttat an dem israelischen Generalkonsulat sind mehr Fragen offen als beantwortet: Umstritten sind unter anderem die Zahl der benutzten Waffen, der Schüsse und der Wachpolizisten vor der Vertretung  ■ Von Philipp Gessler

„Ein Geschehensablauf von bisher so nicht gekannter Komplexität“ – so hat der Berliner Justizsenator Erhart Körting (SPD) wunderbar bürokratisch die Ereignisse bewertet, die seit bald zehn Tagen wenn nicht die halbe Republik, so doch das politische Leben der Hauptstadt bewegen: „Was geschah genau beim Sturm von Kurden auf das israelische Generalkonsulat am Mittwoch vergangener Woche?“ Diese Hauptfrage ist bis heute unbeantwortet.

Gerüchte, unvollständige Ermittlungen und unklare Aussagen der Behörden und Augenzeugen schwirren durch den Raum – mindestens folgende Fragen sind bisher ungeklärt:

1. Wann war die Berliner Polizei über die Gefährdung des Konsulats informiert?

Umstritten war noch gestern, ob eine Warnung des Bundeskriminalamtes vom Abend vor dem Sturm auf das Konsulat über die Gefahren für israelische Einrichtungen von der Berliner Innenverwaltung und Polizei unterschätzt wurde: Innensenator Eckart Werthebach (CDU) betont, es habe sich lediglich um eine allgemeine Gefahrenanalyse, nicht um eine konkrete Gefährdungswarnung gehandelt.

2. Gab es genug Schutz für das Konsulat?

Zum Schutz des israelischen Konsulats waren am Mittwoch vormittag die üblichen wenigen Wachpolizisten eingesetzt – unklar aber ist, ob es (nach israelischen Quellen) zwei waren – oder drei, wie es von deutscher Seite heißt. Immerhin konnten innerhalb von wenigen Minuten nach der ersten konkreten Warnung etwa 180 Beamte zum Konsulat gebracht werden. Tatsache bleibt, daß sowohl das türkische Konsulat wie jüdische Institutionen der Stadt mehr Schutzpersonal vor der Tür hatten.

3. Hat ein israelischer Sicherheitsbeamter vor dem Haus auf die anstürmenden Kurden geschossen?

Nach Informationen der taz und anderer Medien hat ein israelischer Sicherheitsmann vor dem Gebäude, wahrscheinlich noch auf dem Gelände des Konsulats auf die anstürmenden Kurden geschossen. Die israelische Seite betont dagegen, daß lediglich innerhalb der Villa geschossen worden sei – nur ein einziger Schuß sei, abgeschossen im Hause, womöglich nach außen geraten. Berliner Polizeikreise betonen dagegen, daß ein ganzes Magazin vor dem Haus abgefeuert worden sei. Projektile, also Patronenhülsen, die auch außerhalb des Gebäudes gefunden wurden, deuten darauf hin; allerdings ist unklar, ob sie nicht aus dem Haus geflogen sein könnten.

Ein kurdischer (!) Augenzeuge sagte gegenüber der taz, die Schüsse seien nur innerhalb des Hauses von einer Treppe aus, abgefeuert worden, das würde die Version der Israelis stützen. Die Frage, ob von drinnen oder außen geschossen wurde, ist auch deshalb von Bedeutung, da sich danach ermessen könnte, ob die Schützen rechtlich überhaupt auf deutschem Boden handelten und der hiesigen Strafverfolgung unterliegen.

4. Gab es Warnschüsse oder wurde direkt geschossen?

Ein Polizeiprotokoll, das mittlerweile der Presse zugespielt wurde, legt nahe, daß es keine Warnschüsse durch die israelischen Sicherheitsbeamten gegeben habe, sondern sofort in die Menge geschossen wurde. Auch ein kurdischer Augenzeuge der taz betont dies, während die israelische Seite unterstreicht, daß es Warnschüsse (in die Luft und in die Beine) gegeben habe.

5. Wie viele Schüsse wurden überhaupt abgegeben?

Auch diese Frage ist ungeklärt. Während die Israelis und die deutschen Behörden von 17 Schuß sprechen, heißt es in internen Berichten der Polizei, es seien um die 30 gewesen – schließlich habe ein Israeli ein ganzes Magazin abgefeuert, heißt es von einer Quelle der taz.

6. Wurde eine Tür des Konsulats von den Kurden aufgebrochen – oder hat ein israelischer Beamter sie sogar selbst geöffnet?

Zwei kurdische Augenzeugen des Sturms auf das Konsulat sagten der taz, die Kurden hätten die Tür des Konsulats nicht aufgebrochen. Auch die Polizeiquelle betont, ein Sicherheitsbeamter habe sie selbst geöffnet und habe von dort geschossen. „Absurd und falsch“ nennt die israelische Botschaft in Bonn diese Aussagen.

7. Wie gefährdet waren die deutschen Polizisten durch die Kugeln der Israelis – wurde gar ein Polizist durch einen Schuß eines Sicherheitsmannes verletzt?

Nach einem Bericht des Justizsenators Eckart Körting (SPD) gibt es Erklärungen von Berliner Sicherheitskräften, wonach es zu einer „Gefährdung Dritter“ durch Schüsse der Israelis gekommen sein könnte. Intern heißt es bei der Polizei, die deutschen Polizisten hätten sich sogar vor den Schüssen in Sicherheit bringen müssen und auf den Boden geworfen. Nach der Darstellung eines kurdischen Augenzeugen hat ein Polizist im Chaos vor dem Konsulat geschrien, er sei durch eine Kugel verletzt worden. Die Polizeiquelle der taz hält dies aber für unwahrscheinlich: So etwas hätte man nicht unter der Decke halten können. Unklar ist auch, ob Tränengas eingesetzt wurde – zwei Zeugenaussagen und Fotos des Tatorts belegen dies, eine offizielle Bestätigung gibt es dafür nicht.

8. Wie sind Kurden schließlich doch in das Konsulat gelangt – und was ist dort geschehen?

Widersprüchliche Antworten gibt es auf die Fragen, wie die Kurden dann doch in das Konsulat eingedrungen sind und was sich dann darin abspielte. Während Konsulatsmitarbeiter und Berliner Polizisten zunächst ausgesagt hatten, die Kurden seien durch den Haupteingang gekommen, scheint das nicht mehr so sicher.

Israels Premierminister Benjamin Netanyahu hatte gesagt, die Kurden seien an den Gittern von Fenstern des Gebäudes hochgeklettert und seien dann in das Konsulat eingebrochen. Andere israelische Quellen sprechen davon, daß zwar tatsächlich Kurden über ein Fenster eingedrungen seien, aber das sei ihnen von anderen Kurden, die durch eine Tür in die Villa gestürmt seien, geöffnet worden. Im Konsulat haben die Kurden nach israelischen Angaben eine Geiselnahme versucht – ein kurdischer Augenzeuge der taz bestreitet dies.

9. Wie viele und welche Waffen wurden von den Israelis genutzt?

Auch zu dieser Frage gibt es unterschiedliche Angaben, die Ermittlungen der Berliner Oberstaatsanwaltschaft dazu laufen noch. „Mindestens zwei“ Waffen sollen nach Angaben der Justizverwaltung benutzt worden sein. Während kurdische Augenzeugen auch von dem Einsatz eines Maschinengewehrs reden, halten Berliner Polizeikreise das für unwahrscheinlich.

10. Haben die Israelis in Notwehr gehandelt?

Die Israelis betonen, sie hätten aus Notwehr geschossen. Die kurdischen Angreifer waren aber nur mit Latten und ähnlichem bewaffnet. Auch in der Berliner Polizei heißt es, wer ein ganzes Magazin leerfeuere, handle wohl eher nicht in Notwehr, auf jeden Fall völlig unverhältnismäßig.

Am Ende ist zu befürchten, daß nur die wenigsten Fragen beantwortet werden können. Zu verworren war die Lage – und diplomatisch zu heikel könnten die Ermittlungsergebnisse sein.