Die Freundin versteht mehr von Politik

Die Iraner füllen die Wahlzettel gemeinsam mit Freunden und Verwandten aus – die Offenheit ist praktisch. Bei den ersten Kommunalwahlen kann sich sonst kaum jemand die Namen der vielen Kandidaten merken  ■ Aus Teheran Thomas Dreger

„Ich habe einen Wunschkandidaten, aber ich habe seinen Vornamen vergessen“, seufzt ein Iraner an diesem Wahlfreitag. Nun steht er verzweifelt vor den neun Plakaten, auf denen die 3.968 Kandidaten für Teheran aufgelistet sind und muß feststellen, daß gleich fünf den gleichen Nachnamen wie der Politiker seiner Wahl haben.

Auch die Beamten, die die Wahlformulare aushändigen, wissen keinen Rat. Es gebe schon Probleme mit der großen Anzahl der Kandidaten bei diesen ersten Kommunalwahlen in der 20jährigen Geschichte der Islamischen Republik, räumt einer der Beamten ein. Am besten sei es, „wenn sich die Wähler gleich die Codenummern von den Wahlplakaten abschreiben und diese auf dem Wahlzettel mit angeben. Das würde auch die Auszählung per Computer erleichtern. Wenn möglichst viele neben den Namen ihrer Kandidaten die Nummer eintrügen, könnte das Ergebnis bereits in drei oder vier Tagen feststehen, sonst könne die Auszählung über eine Woche dauern.

2.680 Wahlurnen sind an diesem Tag allein in Teheran aufgestellt, die meisten in zu Wahllokalen umfunktionierten Moscheen, 4,6 Millionen der geschätzten zwölf Millionen Einwohner der Hauptstadt sind wahlberechtigt. Im über 60 Millionen Einwohner zählenden Land sind es 39 Millionen, die über 200.000 zu vergebende Sitze entscheiden dürfen.

Bis zum Nachmittag ist die Wahlbeteiligung in Teheran und Umgebung gut. Geringer als bei den Präsidentschaftswahlen 1997, aber deutlich höher als bei den von konservativen Kandidaten dominierten Wahlen zum Expertenrat im vergangenen Oktober. Die Organisatoren erwarten noch eine Steigerung. „Es ist Freitag“, erklärt einer. „Feiertag, da schlafen die meisten aus und kommen erst auf die letzte Minute.“ Wann die ist, steht noch aus. Offiziell sollen die Wahllokale um 18 Uhr geschlossen werden. Doch bei den meisten vorherigen Wahlen gab es Verlängerung bis in den späten Abend.

Männer und Frauen wählen getrennt. In dieser Moschee im Norden der Stadt gibt es zwei Registrierungsstellen und Urnen für Männer, aber nur eine für Frauen. „Die Erfahrung zeigt, daß mehr Männer als Frauen wählen gehen“, erklärt einer der Wahlbeamten. Aber wenn mehr Frauen kommen sollten, dann lassen wir sie auch bei den Männern wählen.“

Es dauert, bis ein Wähler seine Personalien angegeben, einen Fingerabdruck hinterlassen und einen Stempel in die Geburtsurkunde bekommen hat. Das ist umständlich, aber dafür kann jeder in jedem Wahllokal seine Stimme abgeben. Anschließend erhält er seinen Wahlschein mit fünfzehn freien Feldern. So viele Sitze sind im neu geschaffenen Islamischen Kommunalrat Teherans vorgesehen. Wahlkabinen gibt es nicht und damit auch kein echtes Wahlgeheimnis. Viele empfinden die Offenheit jedoch als praktisch, können sie sich doch mit Freunden und Verwandten beraten.

Einige haben sich fotokopierte Listen mitgebracht. „Unterstützer der Front des 2.Chordad“ steht auf einer. Der 2.Chordad, der 23. Mai, das ist jenes Datum der letzten Präsidentschaftswahlen 1997, an dem rund 70 Prozent der Wähler ihre Stimme dem moderaten Mohammad Chatami gaben. „2.Chordad – mit diesem Namen kannst du hier alles erreichen“, erklärt eine Frau. Die 15 Namen auf der Liste gehören alle zu Reformkandidaten, ganz oben Ex-Innenminister Abdullah Nuri. Zwar ist die Kommunalwahl offiziell eine reine Personenwahl, aber, so eine Wählerin, „wenn ich den Wahlschein genau nach der Liste ausfülle, wähle ich praktisch eine Partei.“

Ganz anders sieht es im Teheraner Süden aus, der einstigen Hochburg der Konservativen. Die Frauen haben hier den schwarzen Schador tief ins Gesicht gezogen und tragen trotz Frühlingstemperaturen Handschuhe. Ein Familienoberhaupt füllt die Formulare für die anwesenden Angehörigen aus. „Ich kann nicht schreiben“, wendet sich eine alte Dame an die fünf Frauen, die Wahlscheine abgeben. „Bitte füllen Sie das für mich aus.“ „Nein, das dürfen wir nicht“, lautet die Antwort. „Bringen Sie sich einen Verwandten mit oder suchen Sie hier jemanden.“

Eine junge Frau hält ebenfalls eine Liste in der Hand. Mit der anderen schreibt sie sorgfältig die Namen ab. „Ich habe eine Freundin angerufen, die mehr von Politik versteht. Die hat mir die Namen gesagt“, erklärt sie. Wichtig sei ihr, daß die Kandidaten „den Islam achten und vom Religiösen Führer, Said Ali Chamenei, akzeptiert werden.“ Der Name Abdullah Nuri taucht nicht auf. Ebensowenig die anderen Unterstützer Chatamis. Das Rennen ist noch offen.