Westgeld für Oststrom

Berichte sprechen gegen Kredite für AKW in Ukraine. Bundesminister wartet trotzdem ab, Abgeordnete murren  ■ Von Maike Rademaker

Köln (taz) – Die Ukraine plant, den verbliebenen Reaktor von Tschernobyl am 2. März erneut anzufahren, nachdem er wieder einmal für Reparaturen abgeschaltet worden war. Die Pläne sind eine offene Drohung: Der Westen hilft der Ukraine nicht bei den Alternativen im Energiesektor, also muß die Ukraine Tschernobyl für die Energieversorgung einsetzen. Die bisherigen Alternativpläne für Tschernobyl, der Ausbau der Reaktoren Khmelnitzky 2 und Riwne00124 (K2/R4) im Westen der Ukraine, geraten währenddessen immer mehr unter Beschuß. Vertrauliche Dokumente belegen, daß die Reaktoren unwirtschaftlich und unnötig sind und entsprechende Bedingungen für einen sicheren Betrieb fehlen.

In einem streng vertraulichen Bericht der Europäischen Investment Bank (EIB) an die EU-Kommission vom Januar 1999 zu K2/R4 schreibt die EIB, daß es „nicht möglich ist, dem Projekt eine eindeutige, auf Vergleichen beruhende wirtschaftliche Rechtfertigung zuzugestehen“. Hervorgehoben wird in dem Bericht eine „ungewöhnlich unsichere“ Kostenschätzung: Demnach wird der Ausbau statt 1,2 Milliarden US- Dollar 1,7 Milliarden kosten. Mit dieser Kostenschätzung wird ein wesentliches Kriterium des Hauptfinanziers, der Osteuropabank, ausgehebelt: Projekte müssen, um eine Finanzierung zu erhalten, die wirtschaftlichste Lösung sein.

Ob Energoatom, die staatliche ukrainische Energiebehörde, Kredite für den Ausbau überhaupt zurückzahlen kann, wird in dem Bericht angezweifelt: 90 Prozent der Stromkunden bezahlen wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage ihre Rechnungen gar nicht oder tauschen gegen Waren. Yury Urbansky, Mitarbeiter des „Nationalen Ökologischen Zentrums“ der Ukraine, beschreibt den desolaten Zustand des Energiesektors so: „Die Kernkraftwerksarbeiter drohen seit letzter Woche mit Streik, weil sie seit sechs Monaten kein Gehalt mehr bekommen haben. Notwendige Raparaturen und Ersatzteile für die Atomkraftwerke sind nicht mehr bezahlbar. Durch die schlechte wirtschaftliche Lage geht die Energienachfrage zurück – wir produzieren weit mehr Energie, als gebraucht wird. Die Bevölkerung will und braucht K2/R4 nicht.“

Die Weltbank setzte 1997 Kredite für den ukrainischen Energiesektor aus, weil das Land die IWF- Bedingungen bei den Reformen nicht erfüllte. In einem Brief im Mai 1998 an Tony Blair, den damaligen G-7-Vorsitzenden, klagt Präsident Leonid Kutschma allerdings nicht nur über Mangel an Geld. „Diese beiden Reaktoren fertigzustellen, ist von westlichen Partnern vorgeschlagen worden als Alternative zu dem ukrainischen Vorschlag, ein Dampf-Gas-Kraftwerk in der Nähe von Slawutitsch zu bauen.“ Demnach ist dem Tschernobyl-Land der Ausbau der Atomkraft selber nicht geheuer.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace, der sowohl der Brief als auch die Studie der EIB zugspielt wurden, bezeichnete den Bau eines „zweiten Tschernobyl“ als „zynisch“ angesichts der Probleme, die die Ukraine noch jetzt mit der Nuklearkatastrophe hat. Immerhin gehen laut Präsident Kutschma immer noch zehn Prozent des Haushalts in die Auswirkungen des Tschernobyl- Unglücks.

Im Bundesumweltministerium ist der Bericht der EIB im Detail noch nicht bekannt, das Dokument bestellt. Bis alle Prüfungsergebnisse und Untersuchungen vorliegen und beurteilt sind, so ein Sprecher, hält das Ministerium an der Vereinbarung der GZ mit der Ukraine fest: Tschernobyl wird im Jahr 2000 geschlossen, K2/R4 gebaut, falls sich keine nichtnuklearen Alternativen zeigen. Worauf das Ministerium angesichts der Vielzahl der schon veröffentlichten Studien und Berichte wartet, ist unklar: Die EIB erhielt im November 1998 eine Version des Projektdossiers, die sie offentsichtlich dazu befähigte, zumindest wesentliche Wirtschaftsfragen jetzt schon zu beurteilen.

Für die zögerliche Haltung dürften andere Gründe gelten: Der Druck der G-7-Länder, die Atomkraft befürworten, auf den Aussteiger Deutschland ist groß. Zudem droht die Ukraine, sich an Rußland zu wenden, wenn der Westen K2/R4 nicht finanziert. Daß Rußland allerdings zur Zeit Geld für Atomkraftwerke in der Ukraine übrig hat, ist unwahrscheinlich.

Im Bundestag hat die Kritik der deutschen und ukrainischen Umweltschützer offene Ohren gefunden. Nächste Woche dürfte darüber debattiert werden. Christoph Matschie, SPD-Abgeordneter und Vorsitzender des Umweltausschusses, plädiert für genaue Prüfungen, inwieweit man an internationale Verpflichtungen gebunden ist. „Ich denke, wenn es da Spielraum gibt, dann solle man den nutzen. Ich denke, es wäre sinnvoller, andere Energiestrukturen auszubauen als gerade die Atomkraftwerke in der Ukraine.“ Christoph Benze von der Organisation Urgewald sieht diesen Spielraum für die Regierung: „Die Vereinbarung zwischen der Ukraine und den G 7 ist rechtlich nicht verbindlich. Da steht weder drin, daß die Ukraine Tschernobyl schließen muß, noch, daß K2/R4 die ausschließlichen Ersatzmöglichkeiten sind.“