Wendekrimi mit Stasi-Gold

Ein neuer Aktenfund bei der Gauckbehörde belegt, wie Wertgegenstände von der Stasi zur Staatsbank der DDR verbracht wurden und anschließend verschwanden. War auch von den Nazis geraubtes jüdisches Eigentum darunter?  ■ Von Christian Semler

Berlin (taz) – Gestern wurde dem sachverständigen Publikum im Berliner Haus der Demokratie ein neuer Tatsachenkrimi aus der in dieser Hinsicht schier unerschöpflichen Wendezeit 1989/90 vorgestellt. Autor: das „Forum zur Aufklärung und Erneuerung e.V.“, vertreten durch den DDR- Bürgerrechtler und Europa-Abgeordneten der Grünen, Wolfgang Ullmann, sowie den finanzkundigen Reinhard Dobrinski. Thema: die Verbringung von 112 Wertbehältnissen (Blechkästen und Kartons), angefüllt mit Schmuck, Edelsteinen, Münzen, Briefmarkensammlungen und Silberbarren aus dem Besitz des Stasi-Ministeriums (MfS) bzw. des Ministeriums für Finanzen und Preise in die Tresore der DDR-Staatsbank.

Leider nur ein Krimifragment. Denn es fehlt der Anfang: Von wem stammen die Wertgegenstände? Von Häftlingen in der DDR, denen sie geraubt, von DDR-Bürgern, denen sie, beispielsweise durch Androhung immenser Erbschaftssteuern, abgepreßt wurden? Oder handelt es sich um Werte, die der Nazi-Staat vor 1945 beschlagnahmte und die via sowjetische Besatzungsmacht an das MfS gelangten? Also um Vermögen von KZ-Opfern?

Es fehlt auch das Ende: Wohin gelangten die Behältnisse? Fanden sie ihren Weg von der „Staatsbank in Auflösung“ zur westdeutschen „Kreditanstalt für den Wiederaufbau“ und lagern sie jetzt in deren Tresoren? Vor Nachfragen schützt das Bankgeheimnis. Oder gingen sie auf dem Weg dorthin verloren und sind längst „privatisiert“? Das letzte bislang bei der Gauck-Behörde zutage geförderte Dokument stammt vom 12.1.1990 und informiert Uta Nickel, damals Ministerin für Finanzen in der Modrow-Regierung, darüber, daß 69 der 112 übernommenen Wertbehältnisse inventarisiert und daß an der Erfassung des Rests intensiv gearbeitet wird. Den Brief haben die Doktoren König und Wilberg unterzeichnet, ersterer Leiter der Valuta-Abteilung der Staatsbank, letzterer Leiter der Inspektion beim DDR-Finanzministerium. Dann verliert sich die Dokumenten-Spur.

Wie steht es mit den Tätern? Sind die im Krimi-Fragment auftauchenden Herrschaften bloß Komparsen oder lohnt es sich, weiterzubohren? Der Funktionär, der damals die „Verwahrungsanordnung“ der Wertbehältnisse bei der Staatsbank anordnete, Militärstaatsanwalt (warum „Militär“?) Michalak, ist heute Rechtsanwalt in Potsdam. Er schweigt. Ebenso wie alle anderen, deren Namen in den jetzt veröffentlichten 12 Dokumenten auftauchen, und – selbstverständlich – wie die Bank.

Einige der Tatumstände stimmen mißtrauisch. Warum lagen den Wertbehältnissen keine Inventarlisten bei, wie das – auch unter realsozialistischen Verhältnissen – üblich war? Warum differieren das Übernahme- und das Übergabeprotokoll in einem wichtigen Punkt, nämlich dem, der das Ministerium für Finanzen und Preise als Eigentümer der Behältnisse ausweist?

Für Ullmann und Dobrinski ist klar: „Die Eigentumsverhältnisse wurden durch MfS-übliches Verhalten legendiert. Auf dem Wege von der Rusche / Normannenstrasse (der Stasi-Zentrale; C.S.) in die Charlottenstrasse in Berlin- Mitte ist der „Eigentumswechsel“ vollzogen worden. Ein gemeinsames Interesse, die Herkunft des „weißen und gelben Metalls zu verbergen, muß dieses kollektive Handeln bestimmt haben“. Dobrinski nennt diesen Vorgang „organisierte Unordnung“. Bei der Präsentation der Dokumente wies er auch darauf hin, daß die Inhaber der Plombenzangen innerhalb der Staatsbank jederzeit die verplombten Behältnisse öffnen und wiederverplomben konnten. Schließlich handelte es sich um Bankangestellte besonderer Art.

Welchen Wert könnte der Inhalt der transferierten Behältnisse heute haben? Ullmann kann und will sich nicht zu Schätzungen äußern. Nicht ganz unerheblich ist diese Frage allerdings für die früheren Eigentümer der Wertsachen. Sie stehen nach dem Aktenfund vor einem doppelten Dilemma. Zum einen gibt es keinen Hinweis darauf, ob Teile der Wertgegenstände noch – in nunmehr bundesrepublikanischem Eigentum – erfaßt sind und damit zurückgegeben werden können. Zum anderen türmt das Vermögensgesetz in seiner Fassung von 1994 ein schwer zu überrwindendes Hindernis auf. In einer Art von Umkehr der Beweislast wird dem Antragsteller auf Rückgabe bzw. Entschädigung aufgegeben, den Nachweis zu führen, was mit den Gegenständen geschehen ist und wo sie verblieben sein bzw. wo und wie sie verwertet sein könnten. Ist das Schicksal der in Frage stehenden Wertsachen nicht aufklärbar, steht dem Antragssteller keine Entschädigung zu. Immerhin hat das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil von Ende 1998 erstmals (im Zusammenhang mit Vermögensverlusten nach einem gescheiterten Fluchtversuch) zugunsten eines Antragstellers entschieden.