Die letzte Schlacht der alten Garde

Das Ende einer fünfzehnjährigen Militärdiktatur. Nigeria wählt heute einen neuen Präsidenten. Für die 108 Millionen Nigerianer könnte die Wahl der Anfang eines Demokratisierungsprozesses sein. Doch bis zur Demokratie ist es noch ein weiter Weg  ■ Aus Lagos Dominic Johnson

Das englische Wort „Transition“ hat in Nigeria zwei Bedeutungen. Es steht zum einen für den Übergangsprozeß von Militärherrschaft zur Demokratie, so wie ihn das Land derzeit erlebt. Am häufigsten ist es aber auf Todesanzeigen zu finden – als vornehme Umschreibung des Sterbens.

Nigerias laufende Demokratisierung, die am Samstag mit freien Präsidentschaftswahlen ihren Höhepunkt erreicht, hat tatsächlich zunächst mehr mit Tod als mit Neugeburt zu tun. Mit dieser Wahl und mit dem Amtsantritt eines gewählten Präsidenten am 29. Mai geht eine Epoche zu Ende: über 15 Jahre Militärdiktatur, die immer als Übergangsperiode dargestellt wurde, in Wirklichkeit aber zum Ruin des Landes und zur Bereicherung einiger weniger führte.

Der Niedergang Nigerias kann heute nach allgemeiner Einschätzung nicht noch weitergehen, ohne den Fortbestand des Landes als solches zu gefährden. Die Staatskassen sind leer, die Ölfördergebiete sind in Aufruhr, die Wirtschaft liegt am Boden – nun treten die Militärs, die das zu verantworten haben, zurück und überlassen anderen das Trümmerfeld.

Angesichts dessen ist es nicht verwunderlich, daß im Land mehr Skepsis als Enthusiasmus herrscht. Bei den Parlamentswahlen vom vergangenen Samstag, die immerhin die Legislative der zu gründenden „Vierten Republik“ bestimmten, lag die Beteiligung bei etwa 15 Prozent. Und im Vorfeld der Präsidentenwahl fragen sich politische Beobachter in Nigeria weniger, wer gewinnt, sondern: Was kann, soll, darf General Olusegun Obasanjo eigentlich machen, wenn er aus den Händen des derzeitigen Juntachefs Abdulsalam Abubakar die Macht übertragen bekommt?

Daß Obasanjo die Wahl gewinnt, erscheint so gut wie sicher. Seine Partei, die People's Democratic Party (PDP), errang zwar am letzten Samstag nur eine knappe Mehrheit in beiden Parlamentskammern. Aber sie allein hatte die Mittel für einen hochkarätigen Endspurt im Wahlkampf, für das hastige Jetten des Spitzenkandidaten von einer Provinzhauptstadt zur nächsten, um vor zusammengetrommelten Massen Siegesgewißheit auszustrahlen. Allein am Montag abend kamen bei einem Fundraising-Dinner im Hilton Hotel der Hauptstadt Abuja für Obasanjos Wahlkampf umgerechnet acht Millionen Mark zusammen.

Obasanjos Gegenkandidat Olu Falae, der für das Bündnis der beiden anderen Parteien, der Alliance for Democracy (AD) und der All People's Party (APP), antritt, macht sich dagegen rar. Als er diese Woche durch Nigerias Norden tourte, spach er nicht vor öffentlichen Versammlungen, sondern warb privat vor traditionellen Emiren. Hatte letzte Woche noch Obasanjo eine Fernsehdebatte platzen lassen, war es diese Woche Falae, der die geplante öffentliche Konfrontation ablehnte.

Zwei widersprüchliche Biographien

Die beiden Kandidaten verkörpern die Widersprüche Nigerias auf ihre Weise. Obasanjo ist gelernter Militär, Falae gelernter Ökonom. Obasanjo kommt aus einfacher Familie, Falae aus der Aristokratie. Obasanjo war politisch immer erfolgreich, Falae nicht. Obasanjo war von 1976 bis 1979 Diktator und gab dann die Macht ähnlich geordnet ab, wie er sie jetzt wiederzubekommen hofft; außerdem war er der Stratege hinter der Niederschlagung der Biafra-Sezession im Osten Nigerias 1967 bis 1970. Falae war Beamter und Minister unter dem Militär in den achtziger Jahren und für die gescheiterte Umsetzung der damaligen Strukturanpassungsprogramme verantwortlich. Damit kann Obasanjo an die Vergangenheit appellieren, Falae aber nicht. Er wolle da anfangen, wo er 1979 aufhörte, sagte Obasanjo bei der Annahme seiner Kandidatur letzte Woche – Anklang an eine Zeit, wo Nigeria noch relativ reich war und einer besseren Zukunft entgegensehen konnte.

Die Militärelite unterstützt den ehemaligen Dikator

Es gibt auch wichtige Gemeinsamkeiten: Beide kommen aus derselben Generation – Obasanjo ist 63, Falae 61. Beide saßen unter Diktator Sani Abacha (1993 bis 1998) im Gefängnis, was heute Prestige verleiht. Und beide kommen aus dem Yoruba-Volk, deren 40 Millionen Angehörige um Lagos im Südwesten Nigerias leben und sich um die Macht betrogen fühlen, seit die letzte freie Präsidentschaftswahl vor sechs Jahren mit dem Sieg des Yoruba Moshood Abiola vom Militär annulliert wurde. Da die Yorubas zuletzt geschlossen für Falaes Partei AD stimmten und Obasanjo sich kaum zum Wahlkampf in die Yoruba-Region traute, könnte man meinen, Falae habe die bessere Hausmacht.

Tatsächlich aber liegt der Heimvorteil bei Obasanjo. In einem von Militärs dekretierten Reformprozeß genießt er die offene Unterstützung hoher Militärs. Hohe Politiker des traditionell dominanten muslimischen Nordens bestätigen, daß sie ihn stützen, um Nigeria zu befrieden – weil diesmal die Yorubas dran seien und Obasanjo die Interessen des Nordens und der Militärelite nicht antasten werde. Obasanjos Partei leistet es sich sogar, sich als einzige nationale Kraft darzustellen und ihre Gegner als Regionalisten. Ein Beobachter beschreibt die Wahl zwischen Obasanjo und Falae als Wahl zwischen finanzieller und ethnischer Loyalität: Obasanjo stünde für den Stimmenkauf, Falae für die ethnisch getragene Infragestellung der herrschenden Ordnung.

Keine dieser Alternativen ist wahrhaft demokratisch. Diese „Transition“ ist die letzte Schlacht der alten Garde. Die jahrzehntelangen Machtkämpfe innerhalb einer alten Politikergeneration – Grundlage der meisten Putsche und abgebrochenen Demokratisierungsversuche der letzten zwanzig Jahre – sollen auf geordnetem Wege endgültig geklärt werden. Demokratie unter Einschluß einer neuen Generation muß noch warten. Es ist natürlich trotzdem ein Fortschritt, wenn erstmals seit 20 Jahren ein von Wahlen begleiteter geordneter Machtwechsel stattfindet. Weiter reicht der politische Horizont derzeit nicht.