Bambusblatt im Schnee

■ Das japanische Bogenschießen ist ein ästhetischer Hochgenuß, aber wie viel hat es mit Esoterik zu tun?

„Japanisches Bogenschießen ist nichts Esoterisches“, sagt Feliks Hoff, 53jähriger Mitbegründer des Alster Dojo in Lokstedt, „wer mit solchen Vorstellungen zu uns kommt, springt schnell wieder ab.“ Auch mit Zen-Buddhismus habe Kyudo, so die japanische Bezeichnung für den Weg (do) des Bogens (kyu), nichts zu tun.

Daß man vor Betreten des Dojo die Straßenschuhe auszieht, versteht sich von selbst. Das kurze Verneigen, die Hände an der Hosennaht, ist hingegen noch etwas ungewohnt. Es duftet nach frischem Holz. Ein paar Kyudoka haben sich in der hohen, lichtdurchfluteten Halle eingefunden und sind dabei, ihre riesigen Bambusbögen zu spannen. Sie tragen die traditionelle Kleidung der japanischen Bogenschützen, einen weiten schwarzen Hosenrock und eine kurzärmelige, enganliegende Jacke. Geschossen wird durch die geöffneten Fenster der verglasten Stirnseite hinaus in den Garten, wo in einiger Entfernung Zielscheiben angebracht sind.

Der Alster Dojo, 1969 gegründet, war die erste deutsche KyudoGruppe überhaupt. 1983 begannen die Mitglieder mit dem Bau ihres Vereinshauses, 1985, nach mehr als 5000 Stunden Eigenarbeit, war es endlich soweit, der Dojo war bezugsfertig: ein schmuckes Holzgebäude, eine japanische Oase, umgeben von biederen Einfamilienhäusern und mehrstöckigen Wohnblocks aus rotem Backstein.

Im Dezember 1997 wurde der Dojo durch Brandstiftung zerstört. Den 220 Mitgliedern war sofort klar, daß sie ihr Haus wieder aufbauen würden – erneut aus Holz. „Die Wahl des Baumaterials hat in erster Linie Kostengründe“, sagt Feliks Hoff, „aber 85 Prozent unserer Mitglieder sind Akademiker, und da darf man nicht erwarten, daß sie großartig Beton mischen können. Mit Holz kann unter Anleitung jeder arbeiten.“ Vor gut zwei Monaten wurde der neue Dojo eingeweiht, in dem neben Kyudo auch Kendo (Schwertkampf) und Iaido (Schwertziehen) betrieben werden.

Den Bewegungsabläufen des Bogenschießens zuzusehen ist ein ästhetischer Hochgenuß. Eine Phalanx von Kyudoka bewegt sich mit genau festgelegter Schrittfolge in die Schießposition, die linke Schulter in Richtung Zielscheibe. Der Pfeil wird eingelegt, der Bogen mit beinah gestreckten Armen hochgenommen, die Hände über Kopfhöhe, die Sehnen gespannt. Nun liegt der Pfeil etwa auf Höhe der Nase, seine Spitze ragt kaum über den Bogen hinaus. Die Schützen verharren eine Weile in dieser Haltung, dann plötzlich eine kurze Bewegung der rechten behandschuhten Hand, der Schuß wird gelöst, begleitet von einem sanften Zischen.

Was so mühelos aussieht, ist tatsächlich mit großem Kraftaufwand verbunden, und die erforderliche Geschicklichkeit setzt langes Training voraus. „Anfängern beginnen beim Spannen und Halten schon nach kurzer Zeit die Hände zu zittern“, erklärt Trainer Hoff.

Der Mann, der das Bogenschießen in Deutschland populär machte, war der Philosoph Eugen Her-rigel (1884 bis 1955). Über fünf Jahre lang hatte er in Japan an der Kaiserlichen Tohoku-Universität die Kunst des Bogenschießens erlernt und später seine Erfahrungen zu einem spannenden Buch verarbeitet. 1948 erschien Zen in der Kunst des Bogenschießens, ein 100 Seiten starker Bericht, der in viele Sprachen übersetzt wurde und in den 60ern zum Kultbuch der Hippie-Generation avancierte.

„Sie können von einem gewöhnlichen Bambusblatt lernen, worauf es ankommt“, sagt Kenzo Awa, Herrigels Lehrmeister, eines Tages zu seinem Schüler, „durch die Last des Schnees wird es herabgedrückt, immer tiefer. Plötzlich rutscht die Schneelast ab, ohne daß das Blatt sich gerührt hätte. Verweilen Sie ihm gleich in der Spannung, bis der Schuß fällt. Wenn die Spannung erfüllt ist, muß der Schuß fallen, er muß vom Schützen abfallen wie die Schneelast vom Bambusblatt.“ Und vielleicht hat Kyudo ja doch ein bißchen mit Zen-Buddhismus zu tun. Undine von Rönn Infos: Alster Dojo e.V., Veilchenweg 34, 22529 Hamburg, Fax 040/ 56 68 19, www.members.aol.com/gbruchhaus/kyudo Literatur: Feliks F. Hoff: Kyudo, die Kunst des japanischen Bogenschießens (Weinmann Verlag) und Hans Joachim Stein: Die Kunst des Bogenschießens, Kyudo (Scherz Verlag)