Schnelles Geld bringt weniger Kontrolle

■ Von Lyon lernen: Privatisierungsmodell für Wasserbetriebe hat Nachteile. Raymond Barre rät Senat zu befristeter Vergaber der Konzession statt zu einem Teilverkauf des Unternehmens

Die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe (BWB) in ihrer gegenwärtig geplanten Form bedeutet erhebliche Nachteile für das Land. Das ergibt sich aus einem Vortrag des ehemaligen französischen Ministerpräsidenten und jetzigen Bürgermeisters von Lyon, Raymond Barre. Gegenüber Journalisten schilderte Barre am Wochenende die Erfahrungen mit dem Wasser- und Dienstleistungskonzern Vivendi, der sich zusammen mit RWE um den Kauf von 49,9 Prozent der BWB-Aktien bewirbt. Vivendi betreibt rund 85 Prozent der Wasserver- und -entsorgung im Großraum Lyon. Ende März will Finanzsenatorin Fugmann-Heesing über die Bewerbung entscheiden und erhofft sich Einnahmen von 2 Milliarden Mark für die Haushaltskasse.

Auf Basis eines Vertrages mit Lyon liefert Vivendi (früher Generale des Eaux) dort seit 1986 Wasser. Der Betreibervertrag, für den der Konzern eine Konzessionsabgabe an die Kommune entrichtet, wird alle fünf Jahre neu abgeschlossen – zum letzten Mal 1997. Die Kommune hat damit die Möglichkeit, Einfluß auf das Geschäftsgebaren der privaten Betreiber auszuüben. „Alle fünf Jahre wird überprüft, ob das Unternehmen seine Sache gut gemacht hat“, sagt Barre. Wenn dem nicht so sein sollte, kann die Stadt den nächsten Vertrag an einen Konkurrenten vergeben. Auf diese Art überzeugte Lyon das Betreiberunternehmen Vivendi 1997, die Verbraucherpreise um etwa fünf Prozent zu senken.

Eine derartige Einflußmöglichkeit ist bei der bevorstehenden Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe ausgeschlossen. Der Senat will knapp die Hälfte der bislang landeseigenen Betriebe für die Zeit bis zum Jahr 2028 verkaufen – erst dann soll der Vertrag zum ersten Mal kündbar sein. In der fast 30jährigen Zwischenzeit hat das Land infolge seines Verkaufsmodells viel weniger Möglichkeiten, das Geschäftsgebaren des privaten Investors zu verändern, als die Verwaltung der Stadt Lyon, die nur den Betrieb der Wasserversorgung für eine kurze Zeit an Private überträgt.

Freilich kann auch das Land Berlin Einfluß nehmen auf die zukünftigen privaten Besitzer der Wasserbetriebe. Der Wirtschaftssenator hat nach wie vor die Funktion, die Wasserpreise zu genehmigen, was den Freiraum der Investoren merklich einschränkt. Und die Vertreter der Politik stellen auch in Zukunft die Mehrheit der Stimmen in den Entscheidungsgremien. Doch infolge des langen Vertragszeitraums dürften die Möglichkeiten des Senats, Druck auszuüben, ebenso geringer ausfallen wie der Anreiz auf die öffentlichen Kontrollorgane, die Kontrolle auch tatsächlich wirksam anzuwenden.

Der Senat wählt die Verkaufsvariante, um die Haushaltslöcher für das vergangene Jahr zu stopfen. Bei der Vergabe einer Konzession für nur jeweils fünf Jahre ließe sich eine derart hohe einmalige Einnahme nicht realisieren. Die finanzielle Schwäche des Landes und der Kurs der Haushaltskonsolidierung durch Privatisierung ist somit der Hauptgrund für den in Zukunft geringeren Gestaltungsspielraum der Politik bei den Wasserbetrieben.

Nach Informationen der taz wird die Finanzverwaltung im übrigen vermutlich die Frist für den Teilverkauf der BWB entgegen der bisherigen Absicht in den April hinein verlängern. Bislang war Ende März als Termin für den Abschluß des Privatisierungsverfahrens angepeilt, weil nur bis dahin die Einnahmen aus 1999 noch für die Deckung des Haushalts 1998 herangezogen werden können. Nun wird sich die Finanzsenatorin möglicherweise die angebotene Kaufsumme von den aussichtsreichsten der sechs Bewerberkonsortien noch im März überweisen lassen, um die 98er-Löcher zu stopfen. Weil die Verhandlungen mit den Investoren allerdings schwierig und langwierig sind, könnte die Vertragsunterzeichung in den April verschoben werden. Hannes Koch, Lyon