„Der Schreck sitzt in mir“

Profibox-Weltmeister Sven Ottkes bemerkenswerte Rede nach dem K.o bringt ein kleines bißchen Ehrlichkeit in die Welt  ■ Von Peter Unfried

Berlin (taz) – Nach getaner Arbeit hat der Boxweltmeister Sven Ottke das RTL-Mikrophon in die Hand bekommen und im Ring eine Rede gehalten. Die ist spätestens seit Henry Maske obligatorisch. So eine Rede wie die von Ottke, freilich, hat man selten gehört. Was nicht heißt, daß sie schlecht war. Hans Mahr hat sie gefallen. Und zwar insbesondere, so formuliert es der Chefredakteur des übertragenden und damit mehr oder weniger veranstaltenden Fernsehsenders RTL, weil sie zeige, daß „Ehrlichkeit auch eine Wertigkeit hat“.

„Meine Damen und Herren“, hatte Supermittelgewichtsweltmeister Ottke (31) formvollendet, wenn auch branchenunüblich distanziert zum Berliner Box-Publikum („Svennie, hau ihn um“) nach der ersten Verteidigung seines IBF-Titels gesagt: „Sie werden die Freude auf meinem Gesicht vermissen. Ich kann mich nicht freuen, solange ich nicht weiß, wie es meinem Gegner geht.“

So was. Das Wild ist erlegt, und der Jäger stößt nicht den üblichen Triumphschrei aus, sondern „erschrickt sich erst mal“ (Ottke), schleicht bleich durch den Ring und entschuldigt sich schließlich für seinen K.o. Und dennoch klatschen die Leut', die im Grunde gekommen sind, um das zu kriegen, was sie bekommen haben.

Herausforderer Giovanni Nardiello war in der dritten Runde „in meine Rechte gelaufen“ (Ottke), angezählt worden, hatte noch einen rechten Haken mitbekommen – und dann erst mal nichts mehr, weshalb man ihn auf der Bahre abtransportierte. Nardiello ist inzwischen zurück nach Neapel, mit einem schweren Schädelhirntrauma – also nichts Ernstem. Dennoch wird seither analysiert, wie das passieren konnte. Ottke ist ja fachlich betrachtet ein „Absicherer“, einer mit technischen und taktischen Fertigkeiten, der Boxen als eine Art Sport begreift, jedenfalls nicht als Straßenkampf. In 330 Amateurkämpfen hatte er fast nie, in dreizehn Profikämpfen zuvor nur einmal durch K.o gewonnen. Weshalb der Schluß naheliegt, daß es an Nardiello lag. Na ja, sagt dazu Mahr, „die Qualifikation war ja bekannt“. Nachgewiesen war sie durch eine IBF-Ranglistennotierung („6“) – bestehen tat sie wohl im wesentlichen darin, daß Nardiello der Bruder eines ehemaligen Box-Weltmeisters ist. Also durchaus respektabel, zumindest „im Vergleich zu Michalczewkis Gegnern“ (Mahr).

Wenn andere wie sein Trainer über jenen, den Hamburger Halbschwergewichts-Weltmeister Dariusz Michalczewski, zu schwadronieren anfangen und den Kampf, den „jeder gern sehen will“, was die Umschreibung für ein größeres Geschäft ist, bittet Ottke bloß um „realistische Fragen“. Halbschwer ist zu schwer für ihn. Aber: Im Supermittel kann Ottke erst mal nur auf dem Niveau vom Samstag weitermachen. Und selbst wenn er sich Titelträgern anderen Verbände mit Boxfertigkeiten stellt? Die kennt, obwohl er sich persönlich und mit Liebe um das Boxen kümmert, der Hans Mahr nicht und damit auch nicht dessen Fernsehpublikum. Das tut sich eh noch schwer: 4,2 Millionen sahen Samstag abend zu, das ist grob gesagt die Hälfte Rocchigianis und ein Viertel der großen Maske-Events. Das zahlende Hallenpublikum? In seiner Rede umschrieb Ottke den Umstand, daß Veranstalter Sauerland Tausende von Tickets verschenken mußte, damit, daß er sich total freue, „daß die Halle, sag ich mal, recht voll ist“.

Mahr sagt, davon ihn gen Michalczewski zu treiben, sei keiner Rede und RTL zufrieden damit, wie es im Moment läuft. Es ist nicht das große Geschäft, aber der es am Laufen halten soll, hat mit seinem Verhalten zumindest einen Sympathietreffer gelandet.

Wie kam es dazu? Sven Ottke, gebeten, seine Großtat im Ring zu analysieren, sagte ohne nachzudenken: „Man sagt, was man fühlt. Der Schreck sitzt immer noch in mir.“ Tja, findet Mahr, „einem anderen würde die Leute das gar nicht glauben“. Svennie schon. Der, das spürt nicht nur der RTL- Chefredakteur, „meint es ernst.“