Seltene Fußballkunst für Fortgeschrittene

■ Ein 0:0 zum Genießen: Der Neu-HSVler Kurtijan zaubert Leverkusen etwas vor

Hamburg (taz) – Christoph Daum zieht die Augenbrauen hoch. „Wir liegen voll im Soll“, sagt der Trainer von Bayer 04 Leverkusen und stemmt, um diese Aussage noch zu unterstreichen, seine Hände in die Hüften. 0:0 hat seine Mannschaft beim Hamburger SV gespielt, und der Kampf um die deutsche Fußballmeisterschaft scheint endgültig zugunsten des FC Bayern München gelaufen zu sein.

Deshalb bemüht sich Daum eifrig um eine Neudefinition der Saisonziele. „Die sind Marktführer, wir Tabellenzweiter, und wir können mit dieser Situation sehr gut leben“, sagt der Trainer mit realistischer Gelassenheit, während sich Bayer-Manager Reiner Calmund mit Fleischsalat- und Brieschnittchen am kalten Büffet tröstet. Von Motivationsproblemen seiner Mannschaft – wie er sie am vergangenen Wochenende beim 1:1 gegen den SC Freiburg anprangerte – möchte Christoph Daum diesmal nichts wissen. Auch nicht von spielerischen Versäumnissen. Statt dessen verteilt er brav Komplimente an den HSV. „Die haben unglaublich viel Druck gemacht und die Zweikämpfe gesucht, aber unsere Mannschaft hat gut dagegengehalten“, resümiert Christoph Daum mit viel Wohlwollen für das eigene Team das Spiel.

Dem Zuschauer erschloß sich in den ersten 45 Minuten nicht, wer Nationalspieler-gespickter Champions-League-Aspirant war und wer biederes Mittelmaß. Leverkusens Goalgetter Ulf Kirsten war nicht zu sehen, der Brasilianer Ze Roberto meist nur in der Verteidigerposition gegen den Hamburger Christof Babatz, und die spielerischen Akzente auf den Platz setzte Alexander Kurtijan auf seiten des Hamburger SV. Der Spielmacher der moldawischen Nationalmannschaft wurde in der Winterpause ablösefrei von Zenit St. Petersburg ausgeliehen. Ein kurzes Antippen des Balles zum Mitspieler, ein schnelles Weiterleiten mit der Hacke oder ein überaschendes Anspiel in den freien Raum, mithin Fußballkunst für Fortgeschrittene, war auf einmal von einem Spieler des Hamburger SV zu sehen und nicht von den Leverkusenern. „Wir haben in Halbzeit eins streckenweise toll kombiniert“, befand HSV-Trainer Frank Pagelsdorf, für den das torlose Unentschieden aufgrund dieser Spielphase einen Punktverlust darstellte.

Eine eindeutige Zieldefinition für diese Saison war ihm nicht zu entlocken. Kein Wunder, der HSV befindet sich in der sportlichen Konsolidierungsphase und das Volksparkstadion ist noch eine Baustelle – auch wenn zum ersten Mal Zuschauerplätze an allen Stadionseiten vorhanden waren. Erfolge – wie sie Leverkusen in den letzten Jahren feierte – werden für den HSV ab der kommenden Saison zur Pflicht, sollen die gewaltigen Investitionen, die der Rechtehökerer UFA in den Traditionsverein gesteckt hat, wieder eingespielt und die Massen in das niegelnagelneue Volksparkstadion gelockt werden.

Mit dem Wolfsburger Roy Präger und dem Leverkusener Nico Kovac wurden bereits hochwertige Bundesligaspieler verpflichtet. Für den Sturm, wo bisher Tony Yeboah als Alleinunterhalter tätig ist, soll der Lauterer Jürgen Rische im Gespräch sein. Allesamt Spieler, die im Gegensatz zu den vergangenen Verpflichtungen wie Martin Dahlin, Sergej Kirjakow oder Thomas Doll weitaus mehr zu bieten haben als verblaßten Ruhm und mehr zu erwarten als einen Stammplatz auf der Tribüne oder Bank. Hinzu kommen noch Talente wie U21-Nationalspieler Fabian Ernst, bei dem gegen Leverkusen nur der Pfosten sein erstes Bundesligator verhinderte. Ob das reicht, um mit Mannschaften wie Leverkusen mithalten zu können, die immerhin 13 Nationalspieler in den Reihen haben und dank des Bayer-Konzerns einen fast beispiellosen finanziellen Rückhalt, diese Frage will Frank Pagelsdorf nicht beantworten.

Auch sein Kollege Christoph Daum zeigt sich zögerlich bei der Bewertung von vermeintlichen Mitbewerbern und sagt: „Fest steht nur, daß der HSV in der kommenden Saison in einem wunderbaren Stadion spielen wird.“ Dann flüchtet er sich in Fußballerbinsenweisheiten: „Ob Platz zwei oder Platz zehn rauskommen wird, ist Zufall.“ Daß man dem durch finanzielle Kraftakte und geschicktes Management nachhelfen kann, beweist sein Verein. Kai Rehländer

Bayer Leverkusen: Matysek – Nowotny – Robert Kovac, Happe – Ledwon, Nico Kovac (80. Lehnhoff), Ramelow, Beinlich, Ze Roberto – Kirsten (80. Reichenberger), Rink (80. Meijer)

Zuschauer: 22.000

Hamburger SV: Butt – Hoogma – Panadic, Vogel – Babatz, Groth, Kurtijan (89. Jepsen), Ernst (68. Gravesen), Hollerbach – Yeboah, Dembinski