EU-Staatschefs beim Geben-und-Nehmen-Spiel

■ Der Bonner Suchgipfel für eine Reform der EU hat Kompromisse für die Agenda 2000 gezeitigt

Bonn (taz) – Ob es praktische Gründe gab oder ob geschickte Gipfel-Regie dahintersteckte – sicher ist: Das Schulzentrum am Fuß des Petersbergs, wo Journalisten aus der ganzen Welt am Freitag auf Ergebnisse der ersten Gesprächsrunde der Regierungschefs unter deutscher Präsidentschaft warteten, paßte zum gewünschten Image des Ereignisses. Informell, spontan und improvisiert sollte der Mini-Gipfel vor dem Gipfel in Berlin Ende März wahrgenommen werden. Informell, spontan und improvisiert wirkte auch das Pressezentrum in der Schulturnhalle neben der Dusche, die sympathische Betreuung durch Schüler und das Catering auf dem Pausenhof.

Die Ausbeute des achtstündigen Treffens allerdings war ernüchternd. Alle Beteiligten lassen sich auf Bundeskanzler Gerhard Schröders flottes Verhandlungstempo ein und wollen die komplizierte Materie Agenda 2000 in vier Wochen auf dem Gipfel in Berlin zum Abschluß bringen. Möglich wird das nur, weil sie zwar verbal am Reformanspruch festhalten, radikale Einschnitte aber vermeiden wollen. Gleichzeitig – auch darüber bestand in Bonn Einigkeit – wird der EU-Haushalt auf maximal 1,27 Prozent des Bruttosozialprodukts der Gemeinschaft begrenzt.

Möglich wird dies durch gegenseitiges „Geben und Nehmen“, wie Kanzler Schröder es nannte. Deutschland scheint sich von der Idee, einen Teil der Agrarsubventionen in die Länderhaushalte zurückzuverlagern, verabschiedet zu haben. Damit sind die Franzosen zufriedengestellt, die die Kofinanzierung um jeden Preis vermeiden wollen. Im Gegenzug wird Deutschland eine geringfügige Senkung seines Nettobeitrags an die EU-Kasse in Aussicht gestellt. Wie stark Schröder seine Erwartungen in der Nettozahler-Diskussion heruntergeschraubt hat, zeigt seine vorsichtige Formulierung: „Der deutsche Nettobeitrag 2006 soll keiner sein, bei dem die Kurve nach oben, sondern nach unten zeigt.“ Mit dieser Startvorgabe hat sich die deutsche Präsidentschaft weit vom Gerechtigkeitsgepolter der ersten Regierungswochen entfernt.

Auch beim Kohäsionsfonds wird alles bleiben, wie es ist. Ursprünglich war er eingerichtet worden, damit die ärmeren Länder der Union, Spanien, Portugal, Irland und Griechenland, rasch wirtschaftlich aufholen und an der Währungsunion teilnehmen können. Dieses Ziel haben sie außer Griechenland erreicht. Da aber „Politik und Logik nicht immer ganz logisch zusammengehen“, wie Ratspräsident Schröder sagte, bleibt der Fonds bestehen, auch wenn sein Existenzgrund entfallen ist. „Die Ängste, daß wir den Fonds abrupt beenden, sind unbegründet“, beruhigte Schröder die Kollegen aus dem Süden. Spanien und Portugal werden wohl mit einem Zeichen des guten Willens davonkommen.

Die Briten werden sich ebenfalls nicht vom liebgewordenen Rabatt verabschieden müssen. Die Bedingungen, unter denen Margaret Thatcher ihn einst erstritt, existieren nicht mehr – gestrichen wird er dennoch nicht, allenfalls ein wenig gesenkt.

Angesichts der großzügigen Laune, die auf dem Petersberg geherrscht haben muß, überrascht es nicht, daß auch über das Thema Duty-free noch einmal in Güte geredet worden ist. Die zollfreien Zonen schienen schon vom Tisch, weil sie sich in einer Wirtschafts- und Zollunion überlebt haben. Nun soll es einen Kompromiß geben: Tabak- und Branntweinsteuer werden erst 2002 fällig, Mehrwertsteuer sofort. Das paßt gut in die mehrheitsfähige Strategie: Kein Gast vom Petersberg soll zu Hause schmerzhafte Einschnitte rechtfertigen müssen.

Den Agrarministern gegenüber legten die Regierungschefs auf dem Bonner Gipfel eine Strenge an den Tag, die sie sich selbst nicht zumuten wollen: Dem vom deutschen Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke in zähen Gesprächen ausgehandelten Kompromißpapier zur Agrarreform erteilten sie die Note „ungenügend“. Dabei hatte Funke den gleichen Kurs verfolgt wie die Regierungschefs: Kosmetische Eingriffe bei den Subventionen sollen durch großzügige Ausgleichszahlungen mehrheitsfähig werden. Daniela Weingärtner