Der Aufstieg der Highlander

Das letzte Feudalsystem Europas wankt: New Labour legt die Axt an den mittelalterlichen Großgrundbesitz in Schottland. Mit der Reform will die britische Regierungspartei in Schottland bei den Wahlen für ein Autonomieparlament Stimmen gewinnen  ■ Aus den Highlands Ralf Sotscheck

Wer möchte schon in Knoydart wohnen? Die Halbinsel im Nordwesten Schottlands gegenüber der Insel Skye ist nur zu Fuß über die 30 Kilometer lange Bergkette zu erreichen, die Straße bricht hinter Kinloch Hourn ab. Der Weg ist im Schnee unpassierbar. Das Postschiff, das normalerweise von Mallaig aus dreimal die Woche in Inverie auf Knoydart anlegt, verkehrt bei diesen Wetterverhältnissen unregelmäßig. Die Überfahrt über Loch Nevis dauert eine Stunde.

Die meisten der 50 Bewohner von Knoydart stehen an der Pier, als das Schiff im Hauptort Inverie anlegt. Sie bilden eine Kette, um Lebensmittel und Getränke zu entladen.

Das Land, auf dem sie leben, gehört einem Unternehmen mit drei Direktoren: Einer sitzt in einem Frankfurter Gefängnis, gegen den anderen hat das Betrugsdezernat ein Verfahren eingeleitet. Nur Stephen Hinchcliffe, der früher Direktor des Fußballclubs Sheffield United war, hat sich einmal auf dem 130 Quadratkilometer großen Land sehen lassen. Er sei der neue „Laird“, der Landbesitzer, so stellte er sich den Bewohnern vor. Doch wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten darf er sieben Jahre lang keine Firma leiten, Knoydart steht unter Konkursverwaltung.

Über Generationen gehörte die Halbinsel dem Clan Macdonald, dessen Mitglieder in die ganze Welt ausgewandert sind und es oft zu etwas gebracht haben, und sei es ein Fleischbrötchenimperium. 1984 verkaufte ein Nachfahre, Nigel Chamberlain Macdonald, das Land an einen Geschäftsmann aus dem südenglischen Surrey, der Knoydart in den folgenden Jahren stückchenweise an einen Reg Brealey verkaufte. Der wollte auf der Halbinsel ein Heim für straffällig gewordene Jugendliche bauen, doch seine Firma geriet in finanzielle Schwierigkeiten.

Das bißchen Infrastruktur auf Knoydart, darunter der Generator für die Stromversorgung, verfiel zusehends. Die Knoydart-Stiftung, eine lokale Initiative, machte ein Angebot von 800.000 Pfund für Knoydart, doch Brealey überschrieb seine Firma an Hinchcliffe und seine Geschäftspartner. An der Vernachlässigung Knoydarts hat sich nichts geändert. 900.000 Pfund benötigen die Einwohner, um die Halbinsel vom Konkursverwalter zu kaufen. Der Theaterdirektor Sir Cameron Mackintosh, der sein Geld mit Musicals im Londoner West End gemacht hatte, wollte Knoydart kaufen und an die Bewohner für wenig Geld verpachten. Mackintosh ist in der Gegend aufgewachsen, ihm gehört die benachbarte Halbinsel.

Doch die Einwohner lehnten das Angebot ab. „Auch wenn er ein besserer Laird wäre als seine Vorgänger“, sagt Roger Trussell von der Knoydart-Stiftung, „hätte uns das Land immer noch nicht gehört.“ Trussell, ein kleiner, schlanker Mann mit Schirmmütze und Gummistiefeln, war früher Kapitän eines Atom-U-Boots. Er sitzt am Kamin des „Old Forge“, der entlegensten Kneipe auf dem britischen Festland, und trocknet seine Jacke, denn draußen fegt der Regen seit Tagen über Knoydart.

Trussell kam nach Knoydart, weil er der konsumorientierten Welt entfliehen wollte. Die Leute, die auf der Halbinsel leben, sind alle zugewandert, aufgrund der unsicheren Besitzverhältnisse ist die Fluktuation hoch. So unterschiedlich die Bewohner auch sind, sie bilden eine enge Gemeinschaft, denn die meisten Alltagsprobleme lassen sich nur durch Zusammenarbeit lösen. „Deshalb wollen wir das Land kaufen“, sagt Trussell. „Denn wenn einem Laird dein Gesicht nicht paßt, kann er dich hinauswerfen, und du hast keine Chance, dich dagegen zu wehren.“

Der Wunsch nach einer Landreform wird immer stärker in Schottland. Es war der Fall Eigg, der 1997 den Anstoß gab. Die kleine Insel gehört zu den Inneren Hebriden und liegt südlich von Skye. Sie hatte viele Besitzer im Laufe der Jahrhunderte. Nur noch 65 Menschen leben heute auf Eigg, früher waren es 500. Diese 65 Bewohner rebellierten gegen den vorletzten Laird, Keith Schellenberg. „Jede Veränderung, jeder Schuppen mußte von ihm genehmigt werden, doch er sagte fast immer nein“, erzählt Maggie Fyffe vom Vorstand der Treuhandgesellschaft, der die Insel inzwischen gehört. „Sogar die Wäsche auf der Leine hat er sich angesehen.“

Maggie, eine kleine, rundliche Frau mit langen grauen Haaren, und ihr spindeldürrer Mann Wes mit einem mächtigen Bart kamen vor 23 Jahren aus Nordengland nach Eigg, weil Schellenberg ihnen Arbeit in seinem Kunsthandwerksladen angeboten hatte. „Er wollte uns schon bald wieder loswerden“, lacht Maggie, „aber wir sind noch hier, und er ist weg.“ Nachdem Schellenbergs Rolls Royce eines Nachts bei einem mysteriösen Feuer ausbrannte, verkaufte der ehemalige olympische Bobfahrer die Insel an den Stuttgarter Künstler Marlin Eckhard, der sich Maruma nennt und in Wirklichkeit Oesterle heißt.

Dessen ehrgeizige Pläne erwiesen sich als Luftschlösser, und um dem Ruin zu entgehen, mußte er schon bald wieder verkaufen. Da hatten die Inselbewohner genug von ihren Lairds. Per Internet riefen sie zu Spenden auf, um ihre Heimatinsel selbst zu kaufen, und ein Märchen wurde wahr: Eine anonyme Spenderin schickte eine Million Pfund, zwei Drittel des Kaufpreises. Die Geschichte ging um die Welt, in Schottland rief sie das mittelalterliche Landrecht auf die politische Tagesordnung.

Die Labour Party hat nun einen Reformvorschlag gemacht, der gleich debattiert werden soll, wenn das schottische Regionalparlament nach den Wahlen im Mai erstmals seit fast 300 Jahren seine Arbeit aufnimmt. Wichtigster Punkt ist die Informationspflicht: Will ein Landbesitzer verkaufen, so muß er die Bewohner davon unterrichten. In der Vergangenheit erfuhren diese meist erst dann vom Verkauf des Grund und Bodens, auf dem sie lebten, wenn der neue Besitzer auftauchte und sich vorstellte – falls er das überhaupt für nötig hielt.

In vielen Fällen setzte der Besitzer nie einen Fuß auf sein neu erworbenes Land, wie der berüchtigte Pathologe John Green aus Sussex, der als „Dr. No“ bekannt wurde. Nachdem er die Hebrideninsel Raasay gekauft hatte, begann dort schon bald der Niedergang. Green unterband jedes Bauprojekt und verhinderte sogar einen Landesteg für die Autofähre, aber besucht hat er seine Insel nie.

In solchen Extremfällen soll das Land künftig an die Bewohner zwangsverkauft werden. Das sieht der Labour-Vorschlag vor. Schottlandminister Donald Dewar, der im Mai gerne erster Premierminister Schottlands werden will, beeilte sich aber hinzuzufügen, daß ein solcher Fall „selten, vielleicht nie“ eintreten wird. Im Normalfall, wenn also ein Landbesitzer freiwillig verkaufen will, soll ein staatlicher Schätzer den Wert der Ländereien festlegen.

Die Bewohner haben dann das Vorkaufsrecht, und es muß ihnen genügend Zeit eingeräumt werden, um einen Finanzierungsplan aufzustellen. Dabei soll ihnen mit Lotteriegeldern unter die Arme gegriffen werden, um die Anschubfinanzierung zu sichern, denn eine solch großzügige Spende wie im Falle Eigg dürfte wohl einmalig bleiben. Doch die Verwaltung der Gelder soll nicht auf das neue schottische Parlament übertragen werden, sondern weiterhin bei London bleiben.

Daß die Labour-Initiative zu diesem Zeitpunkt kommt, ist kein Zufall, sondern Wahlkampf. Landreform war bisher das Thema der Schottischen Nationalpartei (SNP), die für die vollständige Unabhängigkeit Schottlands eintritt. Meinungsumfragen vor den Wahlen für ein schottisches Autonomieparlament am 6. Mai ergeben, daß die SNP Kopf an Kopf mit Labour liegt. Sollte sie weiter zulegen, wäre die von Labour gewünschte Koalition mit den Liberaldemokraten in Schottland gefährdet. So liegt es in Dewars Interesse, daß sich die schottische Labour-Party ein wenig nach links orientiert. Bei der New-Labour-Mutterpartei ist das Wort „Landenteignung“ seit Tony Blair endgültig aus dem Wortschatz gestrichen.

Freilich ist Dewars Vorschlag weit von der Revolution entfernt, die manch Landbesitzer bereits witterte. Er behebt lediglich mittelalterliche Zustände, und das auch nur ganz allmählich und auf freiwilliger Basis. Der Verband schottischer Landbesitzer, eine Art Club der Feudalherren, kann damit gut leben. Sein Vorsitzender Andrew Dingwall-Fordyse sagte: „Die Tage der Dinosaurier sind vorbei. Wir schauen voraus in positivem Geist.“ Landbesitzer hätten von der geplanten Reform nichts zu befürchten, fügte er hinzu, warnte aber davor, „Steuergelder für den Kauf von Ländereien zu verschwenden, die niemals profitabel sein werden“.

Die Menschen von Knoydart müssen jetzt die noch fehlenden 300.000 Pfund aufbringen, um die Halbinsel zu kaufen. Der Rest des Kaufpreises ist ihnen von zwei Stiftungen versprochen worden.

Treiben sie das Geld nicht auf, kommt Knoydart auf den freien Markt. „Manche Leute mit Geld kaufen sich ein Stück Land aus Eitelkeit“, sagt Roger Trussell aus Knoydart. „Es ist ein Statussymbol. Aber die Landreform wird kommen, auch wenn es schrittweise passiert. Ein schottisches Parlament kann nicht funktionieren, wenn der überwiegende Teil des Landes englischen Lairds gehört, die sich nicht um ihre Ländereien kümmern.“