Bestens angelegte Investition

■ Großerlebnis: die konzertante Aufführung von Donizettis „Anna Bolena“ in der Staatsoper

Schon bevor das Licht erlosch zur Premiere von Gaetano Donizettis Durchburchs-Werk Anna Bolena, lag im dunkeln, warum diese Oper in Hamburg nur konzertant herausgekommen ist. Opern-Pressefrau Christiane Rubien: „Wir machen alles konzertant, was nicht ins Repertoire übergehen kann.“ Der Grund für diese Unmöglichkeit wird sich vermutlich in wachsendem Umfang wiederholen (Rubin: „Nichts Konzertantes im nächsten, aber einiges im übernächsten Jahr“): Solche Produktionen stehen und fallen mit guten Sängern. Die sind teuer.

Die offenbar billigere Lösung erlebte Hamburgs Premierenpublikum mit Donizettis – leider ins Repertoire übergegangener – Lucia di Lammermoor. Für die Anna Bolena war mit Edita Gruberova die weltweit führende – und vermutlich auch höchstdotierte – Interpretin der Rolle aufgeboten. Und selbst einem, bei konzertanten Darbietungen infolge des Fehlens szenischer Ablenkung besonders kritischen und konzentrierten Ohr erschien das als bestens angelegte Investition.

Wobei nicht nur, aber besonders der Star des Abends vor der Pause etwas dünn bei Stimme schien, leicht verkrampft und in der Höhe gelegentlich gar spitz. Nach der Pause aber obsiegte Gruberovas superschlauer, gelegentlich genialer Einsatz ausdruckssteigernden und zugleich stimmschonenden Pianos in Tateinheit mit souveräner Rollenkenntnis. Der Abend wurde zum Großerlebnis. Donizettis großer Sprung vom Rossini-inspirierten Belcanto zum melodienseligen, von vielschichtigen Ensembles gesegneten und originären Musikdrama gelang vollkommen. Dank Gruberova und einer erst gegen Schluß groß herauskommenden Nin Liang, dank der Natürlichkeit einer hochbegabten Opernstudentin Petia Petrova (Semton), dank dem für die moralisch zwielichtige Rolle etwas gesetzten Harald Stamm (Heinrich VIII.) und dank der exakt-impulsiven Leitung Frank Beermanns sowie einer überdurchschnittlichen Chorleistung (Einstudierung: Jürgen Schulz). Einzig José Bros als Percy fiel einmal mehr ab mit einer immer am Rand des technischen K. o. operierender Leichtmetallstimme. Ein kleines Minus. In einer ansonsten üppig positiven Premierenbilanz. Stefan Siegert