Zum Star gestöhnt

Bürgerrechtler und Showgrößen empfehlen: die sonderbaren Pornos von Gérard Damiano im Fama  ■ Von Birgit Glombitza

Seit der Feigenblattverordnung, seit Blasphemie und Paradiesverlust gibt es Träume von Verbotenem, gedeiht die Pornographie. Von der Höhlenmalerei bis zu Daguereotypie, von der Camera Obscura bis zum Bahnhofskino. Je bewegter und serieller das pornographische Bild vom Band ging, desto mehr drängte es auch aus dem Halbdunkel des Privaten in die Scheinwerfer des Öffentlichen. Und so debattierten Ende des vorigen Jahrhunderts die Herrenkränzchen der Kirche und des Gesetzes, der Kunst und Freigeisterei.

Sahen die einen Pornographie als kapitales Verbrechen wider die menschliche Würde, das irreparable Schäden an Leib und Seele der Mitwirkenden wie der Konsumenten anrichtet, verteidigten liberalere Denktraditionen pornographische Wünsche als natürliches Phänomen, das schlicht in der menschlichen Sexualität verwurzelt sei. Die Debatte um das verbotene Bild ist über die Jahrzehnte im wesentlichen die alte geblieben. Nur ihren Teilnehmerkreis hat sich seither endlich um die Spezies erweitert, die sonst nur als stummes Bildprodukt den Warenkreislauf absolvierte: die Frauen. Ob Feministinnen den weiblichen Körper als Spielball patriarchaler Unterdrückungsindustrien sahen oder ob sexuelle Aktivistinnen, Huren, Pornoproduzentinnen und –darstellerinnen für die ungebremste Lust in sexualisierten Inszenierungen warben und mit eigenen Produkten auf den männlichen Markt drängten: Die Zeichen stehen auf Sturm, das Bild des eigenen nackten Körpers soll zurückerobert werden. Doch bis selbstgekürte Sexgöttinnen wie Annie Sprinkle mit vollen Händen nach der eigenen Lust griffen und Sex als lichtdurchflutete Offenbarung erlebten, war es ein langer Weg.

Nach dem Triebstau der Fünfziger und den stumpfen Ärztefilmchen der Sechziger trieben die Pornos der Siebziger eine Bugwelle trotzigen Selbstbewußtseins vor sich her. Aus dem anonymen Stöhn-Personal etablierte sich ein Starsystem. In Hardcore- und Campfilmen feierte sich die Subkultur. Kein Film jedoch sorgte für so wilde Legenden und vor allem klassenübergreifende Supermarktgespräche wie Gérard Damianos Deep Throat von 1973, den das Fama nun in einer Reihe neben The Devil In Miss Jones, Memories Within Miss Aggie und Consenting Adults zeigt. Kamera-, Schnitt- und Schauspielerarbeit sind auch bei größter Nachsicht nicht einmal durchschnittlich zu nennen. Das kulturpsychologische Phänomen Deep Throat ist weder durch einen ästhetischen Wert noch durch den späteren Kultcharakter von Akteu-rin Linda Lovelace komplett zu erklären. Die Bedeutung dieses Pornos, der wohl als erster seiner Art öffentlich von Bürgerrechtlern und Showgrößen empfohlen wurde, liegt an seinen parodistischen Qualitäten und seiner Hartnäckigkeit, mit der er die Normalität, vom Doppelkinn bis zur Krampfader, auf die Leinwand einziehen läßt.

Linda Lovelace verkörpert mit Mut zur Unerträglichkeit die Apotheose der US-amerikanischen Mittelstandsfrau, die nicht nur Sonderangebote vergleichen kann, sondern jetzt auch ihre sexuelle Enthemmung zelebriert. Ein Credo, das Deep Throat den Ruf des emanzipierten Pornos einbrachte. Linda Lovelace spielt sich selbst, eine Kleinbürgerin, die davon träumt, ein Pornostar zu sein. Doch in Deep Throat muß ein Orgasmus her, die Glocken sollen „klingeln“, die Erde beben, der Himmel seine Blitze senden. Das klingt eher nach der Vernichtung einer Stadt als nach Hochgenüssen, bemerkt Lindas Freundin Helen treffend und organisiert fürsorglich diverse Orgien. Ohne Erfolg. Denn Lindas Lustzentrum sitzt da, „wo die Zahnbürste nicht hinkommt“ (Pressetext). Ein Arzt, als tölpeliges Relikt aus den 60er-Jahre-Pornos, macht Lindas Klitoris im Hals ausfindig und empfiehlt eine Schlundtherapie. Fortan reiht der Film die absurdesten Blasexzesse aneinander, in denen Lovelace ausgiebig ihre schon akrobatischen Schwertschlucker-Qualitäten vorführt.

„So erotisch wie eine Mandeloperation“, raunte Kritikerin Ellen Willis in der New York Review of Books – aber weitaus publikumsträchtiger. Homestories über Mitwirkende und Rührgeschichte über Verklemmungen, die mit Deep Throat in nackte Lebensfreude verwandelt wurden, füllten die Yellow Press. 23.000 Dollar hatte die Produktion gekostet, 15 Millionen spielte sie ein. Und Regisseur Damiano, der fortan als Parodist der Branche galt, wurde mit Briefen von Mädchen bombardiert, die wie Linda Lovelace sein wollten.

Daran hatte Annie Sprinkle kein Interesse. Sie wurde Damianos Assistentin. 1983 gründete Sprinkle eine eigene Produktionsfirma und zieht seitdem mit ihren „sex researches“ und uteralen Innenansichten durch die Welt. Die Parodie eines Damianos hat sie längst überflügelt. Für eine „Sex-Goddes“ wie Sprinkle eine Kleinigkeit. Und in ihrem Himmel ist noch eine Menge Platz.

Deep Throat: Fr, 5. + Sa, 6. März, 22.30 Uhr. The Devil In Miss Jones: Fr, 12. + Sa, 13. März, 22.30 Uhr. Memories Within Miss Aggie: Fr, 19. + Sa, 20. März, 22.30 Uhr. Consenting Adults : Fr, 26. + Sa, 27. März, 22.30 Uhr, Fama