Ekstase vom Notenblatt

■ Nono Garcia und seine Band versuchten sich, nicht immer überzeugend, an der Verschmelzung von Jazz und Flamenco

Die doofe Welt ist nie so, wie kluge PhilosophInnen sie sich zusammendenken. In Frankfurt etwa lehrte einst ein Herr, der eine ganze Ethik auf der ebenso genialen wie schlichten Einsicht gründen wollte, daß niemand „Alle Menschen lügen“ sagen kann, ohne sich dabei hoffnungslos in einen Widerspruch zu verstricken. Da glaubt man nun, im verfilzten Wollknäuel namens Dasein endlich eine fusselfreie Richtschnur fürs Leben gefunden zu haben, besucht ohne jede böse Vorahnung ein Konzert im Übersee-Museum – und zack, ist alles wieder dahin. Nur weil ebendort ein freundlich dreinblickender Spanier zunächst einen längeren Begrüßungsmonolog in deutscher Sprache hält, um dann den Eindruck gelungener Verständigung mit der alle moraltheoretischen Argumente zersetzenden Bemerkung „Yo no hablo alemàn“ im nu zu zerstören.

Doch nicht nur wegen der Erschütterung tiefster moralischer Einstellungen erzeugte der Auftritt von Nono García und seiner Piñones Flamenco Jazz Band den Eindruck, permanent verapelt zu werden. Denn das Quartett um den in Cadiz geborenen García zählt in Spanien zu den Pionieren der Fusion von Flamenco und Jazz. Doch konnte die Band diesen Status im Laufe des fast zweistündigen Konzerts nur selten bestätigen.

Dabei waren die Voraussetzungen durchaus gegeben. Immerhin kann García ein Flamenco-Gitarrenstudium in Brüssel und Madrid vorweisen. Und in Anschluß daran hatte er nicht nur einige musikalisch folgenreiche Begegnungen mit einigen Jazzern und brasilianischen Musikern, sondern traf in den 80er Jahren zudem auf den Bassisten Dirk Schoufs und die Sängerin Dani Klein. In deren sehr erfolgreicher Formation „Vaya con Dios“ zupfte Nono García über Jahre an den Gitarrensaiten herum und trug so dazu bei, daß ebenso erfolgreiche wie überflüssige Stücke wie „Don't cry for Louie“ oder „Puerto Rico“ die Ohrmuscheln malträtierten.

Diese Zeit hat García hörbar stärker geprägt, als einem gelungenen Flamenco-Jazzabend gut tun kann. Denn was schon „Vaya con Dios“ charakterisierte, zeichnete auch die Musik der Piñones Flamenco Jazz Band aus. Vier ausgezeichneten Instumentalisten zum Trotz – neben García zählten dazu noch Antonio Serrano (Mundharmonika), der Kontrabassist Javier Colina und der Percussionist José Martin – wollte sich keine überzeugende Fusion von Jazz- und Flamencoelementen einstellen. Zu sehr blieb die Musik den traditionellen, äußerst komplexen Rhythmen und Phrasierungen des Flamenco sowie dem Rumbatakt verhaftet. Nur selten, wie in dem schönen Stück „Bolero de Amalfi“, der einen oder anderen Sequenz in „La luna y el torro“ oder dem Stück für den Thunfisch, gelang dem Quartett, spanische Rhythmen mit jazzigen Phrasierungen so zu verweben, daß etwas wirklich neues daraus entstand.

Selbst die schrägste Phrasierung, zu der sich vor allem Antonio Serrano auf seiner im Ton oft an ein Akkordeon erinnernden Mundharmonika ab und an durchringen konnte, war so blitzsauber gespielt, daß ein veritables Jazzgefühl nur selten entstehen konnte. Dieser sterile Eindruck zerstreute sich auch nicht dadurch, daß viele Stücke als „Blues“ angekündigt waren. Ist es eigentlich immer so, daß Spanier, wenn sie der Blues überkommt, ganz unsentimental zur Mineralwasserflasche greifen und ebenso virtuos wie keimfrei Läufe vom Notenblatt herunterspielen?

Der Stimmung unter den vielen ZuschauerInnen im übervollen Übersee-Museum tat dieses kammermusikalische Flamencokonzert mit Jazztupfern aber keinen Abbruch. Gleich dreimal baten sie die Piñones Flamenco Jazz Band zu Zugaben auf die Bühne. zott