Anteile am Gesamtkunstwerk

■ In Berlin zeigt der Hamburger Bahnhof Beuys-Editionen aus der Sammlung Schlegel. Ob Hasenzucker oder Fischreste - das kleinteilige Genre kommt dem Humor des Künstlers entgegen

Freitags gibt es Fisch. In der Osterwoche hilft der Fleischverzicht am Tag der Kreuzigung, die Auferstehung vorzubereiten. So tut ein christliches Werk, wer die Gräten nicht scheut. Umgekehrt sperren sich wohl viele von denen, die keinen Fisch mögen, unbewußt gegen die religiöse Würze. Im katholischen Rheinland war Fischessen lange eine Erziehungsfrage.

Als Joseph Beuys 1970 einen abgenagten Bückling als „Freitagsobjekt“ in eine Pappschachtel bettete, waren zwar die Eßsitten nicht mehr so streng; doch die Konnotation des Fischskeletts mit den religiösen Ritualen funktioniert bis heute. Beuys klebte den Fischschwanz mit einem Streifen Hansaplast fest, der alles an Empfindungen wachruft, was sich über Wunden und Stigmata so im Gedächtnis des Körpers herumtreibt. Doch zugleich trotzt das „Freitagsobjekt“ der Rührung, die das Skelett als Bild der Sterblichkeit auslöst. „Hat es geschmeckt?“ möchte man den Künstler fragen, der die Transsubstantiation des Abfalls in Kunst in einem zweifachen Schrein aus Pappe und Holz so offensichtlich betrieb.

Diese Spur von humoriger Distanz gegenüber dem eigenen Pathos zeichnet die Ausstellung der Editionen von Joseph Beuys aus, die in großer Dichte im Hamburger Bahnhof von einem Werk erzählen, das seinen Stoff überall im Leben fand. Im kleinteiligen Genre zerbricht die große Geste, und das Werk von Beuys verliert seine missionarische Aura. Statt dessen scheinen Menschenliebe, Spieltrieb und Witz in den über 500 Objekten, Plakaten, Graphik- und Skulpturauflagen, Postkarten und Fotos auf, die die Ausstellung umfaßt. Nicht zuletzt sorgt der große Anteil der Sprache in den Titeln, Beschriftungen und Stempeln für einen Zugang zum System Beuys, der in den großen Skulpturen-Ensembles, die im Museum ein Stockwerk tiefer liegen, längst nicht so einfach zu finden ist.

Goldhase, Hasengrab, DDR- Hase: An den vielen Hasenmotiven läßt sich die Einverleibung alltäglichen Strandguts in die eigene Mythologie verfolgen. Zum „Amerikanischen Hasenzucker“ wird ein Zuckertütchen mit Hasenbild und dem Kreuz-Stempel von Beuys, das er in einem Pappkästchen auf Watte bettet (1974). „4 cm2 Hasenblut“, 1979 in einer dreieckigen Plastiktüte konserviert und mit Leukoplast fixiert, spielen auf den Zusammenhang von Schlachten und Opfern, Blut und Farbe, Nahrung für Körper und Geist an.

Die Vereinnahmung von Welt in realen Objekten setzt sich fort in skulpturalen Doppelgängern wie dem „Silberbesen und Besen ohne Haare“ (1972). Demgegenüber steht die Freigiebigkeit des Künstlers, der in den Multiples vielfach in kleiner Münze herausgab, was er dem Alltag entliehen hatte. „Wenn ihr alle meine Multiples habt, dann habt ihr mich ganz“, wird Beuys im Katalog zitiert. Als Anteilsschein für die spirituelle Teilhabe an seinen Ideen kommt den Editionen im Werk von Beuys ihre besondere Bedeutung zu.

Seit den sechziger Jahren verbreitern Editionen, nicht nur von Beuys, das kunsthändlerische Angebot. Die Fluxus-Künstler entdeckten Marcel Duchamps wieder als Erfinder von Multiples und Ready-mades. Beide Kunstgriffe arbeiten sich am Verhältnis der Kunst zu allem anderen ab, indem sie die klare Trennung vom Unikatsanspruch der Kunst und der Ausdruckslosigkeit industrieller Massenware in Frage stellen. Für viele Fluxus-Künstler waren die Auflagenobjekte auch als Angriff auf den Fetischcharakter der Ware Kunst gemeint, der sich zugunsten eines handlungsorientierten und nach Interaktion strebenden Kunstbegriffs auflösen sollte.

Zwar ging das theoretische Kalkül von der Demokratisierung des Kunstkonsums über hohe Auflagen nicht immer auf. Bei Klaus Staeck, der viele Postkarten-Editionen von Beuys herausgab, lagerten 20.000er-Auflagen jahrelang im Keller. Andere Objekte hingegen, wie der „Schlitten“, der 1969 in fünfzig Exemplaren mit je einem Klumpen Fett, einer Filzdecke und einer Taschenlampe ausgestattet wurde, erreichten bald Kultstatus, noch bevor das Survival-Training Mode wurde.

Viele Objekte thematisieren die Kommunikation, in deren Dienst sie stehen, ganz direkt – etwa das „Telephon“ aus zwei Weißblechdosen (1974). Der Warentausch fungiert dabei als Garant des Spirituellen: So kann ein Bogen Packpapier mit DDR-Stempeln und Aufschrift „Geschenksendung keine Handelsware“ zum Zeugnis für die Künstlerfreundschaft mit Staeck und zu einem Dokument des grenzüberschreitenden Denkverkehrs werden.

Nicht zuletzt nutzte Beuys Fotografien und Plakate, um flüchtigen Aktionen und politischen Performances ein materielles Gedächtnis zu geben. Dabei schleichen sich oft Kommentare ein, die einen ironischen Blick auf seine Selbstinszenierungen verraten: So ist ein Plakat zur „Europawahl: Die Grünen“, auf dem ein Spielzeugsoldat auf einen Stoffhasen schießt, signiert mit „Beuys: Der Unbesiegbare“. Daß er zu Superman vielleicht eine genauso große Affinität hatte wie zu Jesus Christus, scheint nur seinen Exegeten nicht ganz ins Konzept zu passen. Katrin Bettina Müller

„Joseph Beuys – Editionen aus der Sammlung Reinhard Schlegel“. Bis 13.6., Hamburger Bahnhof, Berlin