1a Endneunziger-Trash

■ Obstsex, Splatter, WWW: Warum verlegt Sat.1 seinen Berlin-Krimi auch ins Internet des Grauens? ("Verführt: Eine gefährliche Affäre, 20.15 Uhr)

Schon seit einiger Zeit kommt kaum ein zünftiger Hollywood- Thriller ohne das Internet aus. Die Bösen mißbrauchen es für ihre finsteren Pläne, die Guten nutzen es zum Wohle der Menschheit. Und jetzt wirft die Informationsgesellschaft ihre Schatten auch in die Sat.1-Prime-time-Eigenproduktionen. Internet – dieses neue Computerdingens aus Amerika, dieses Netz mit den Chatrooms, wo alle anonym sind, über Sex reden und wo überall Pornobilder drin sind. Wenn das nicht für einen Hauptstadt-Krimi taugt. Heiße Nächte und kalte Gefühle vor Computermonitoren in den anonymen Bürokomplexen der Großstadt.

Sonia (Katja Woywood) ist das Abziehbild eines Generation- X-Girlies. Anstelle ihrem Job nachzugehen und Pizzas auszufahren, hottet sie lieber in der Berliner Partyszene ab und anstelle von ihrem schmalen Lohn in die Rentenversicherung einzuzahlen, kauft sie sich knappe Kleidchen. Sie sieht zwar nicht ganz so frech aus, wie sie sein sollte, aber dafür hat sie das Herz ja auch am rechten Fleck. Ihre große Schwester Karin (Ragna Pitoll) ist eine erfolgreiche Geschäftsfrau. Sie ist immer pünktlich, und wenn Sonia das Auto abgeschleppt wird, löst sie es wieder aus. Doch während Sonia ihr Gefühlsleben gut im Griff hat, hat ihre Schwester nur Pech mit Männern. Deshalb sucht sie in Chatrooms nach virtuellem Sex. So nimmt das Unheil seinen Lauf. Denn die Seite des ominösen „berlin.net“ sieht nicht nur aus wie das Gewölbe von brutalen Computerballerspiel-Verliesen, hier lauert tatsächlich die Gefahr. Die Schwester verschwindet. Und wo die Polizei nicht helfen will und die Provider der Sex-Seite sich mit fadenscheinigen Begründungen herausreden, muß eben auf eigene Faust nach den Schurken gesucht werden.

Quer durch die Stadt, quer durch das Inter-Netz des Todes, vorbei an herumvögelnden Lehrerinnen, von Obstsex besessenen Verwaltungsangestellten und verklemmten Computerfachleuten steuert der Film durch eine verdorbene Welt. Nur der Schäferhund ihrer Schwester treibt kein doppeltes Spiel mit Sonia.

Aber spätestens der Showdown, wo splattermäßig Halbtote wieder aufstehen, um Messer in ihre Gegner zu rammen und blutüberströmt ihre Köpfe gegen Steinbrocken zu schlagen, läßt den Film dann da ankommen, wo er eigentlich die ganze Zeit schon hinwollte: Dies ist 1a Endneunziger-Trash, der die volle Macht seiner Wirkung wahrscheinlich erst auf Revival-Parties in fünfzehn Jahren entfalten wird. Tobias Rapp