"Die sind auf dem richtigen Weg"

■ Nach dem gestern vorgestellten Drogenbericht meinen die Eltern von Süchtigen: Noch hat die rot-grüne Regierung die Chance, in der Drogenpolitik alles besser, nämlich anders zu machen

Jürgen Heimchen, 56, verlor 1992 einen heroinabhängigen Sohn. Heute ist er Vorsitzender des „Bundesverbandes Eltern und Angehörigen für akzeptierende Drogenarbeit“.

taz: Der neue Drogenbericht weist aus: Auch 1998 ist die Zahl der Drogentoten gestiegen.

Jürgen Heimchen: Das ist das Ergebnis einer Politik, die sechzehn Jahre lang ausschließlich auf Prävention gesetzt hat. Die meisten der Verstorbenen – das sind ja unsere Kinder – sterben gar nicht an Drogen, sondern an den Umständen, unter denen diese Drogen konsumiert werden müssen. An verschmutzem Wasser, mit dem die Spritze aufgezogen wird. An verdreckten Löchern und Ruinen, wo sie konsumieren. Sie wissen oft nicht, was sie sich spritzen. Das sind die wirklichen Ursachen, und dafür ist die repressive Drogenpolitik verantwortlich.

Ändert die neue Regierung diese Politik?

Wir hoffen wirklich, daß diese Regierung endlich eine neue Drogenpolitik einleitet. Und Teile des gestern vorgestellten Drogenberichts zeigen in der Tat: Die sind auf dem richtigen Weg. Absolut zu begrüßen ist die Initiative zur Heroinabgabe. Die darf aber nicht, wie jetzt geplant, auf 2.000 Menschen beschränkt bleiben. Ein so kleines Land wie die Schweiz hat schon jetzt so viele Süchtige in ähnlichen Programmen. Eigentlich bedarf es überhaupt keiner Modellversuche mehr, denn es gibt längst genug Erfahrungen. Wir fordern eine flächendeckende kontrollierte Heroinabgabe. Ein gutes Zeichen für eine neue Politik ist auch, daß endlich die verlogene Kampagne „Keine Macht den Drogen“ eingestellt wird. Drogen haben keine Macht. Politiker haben Macht, nämlich etwas zu verändern.

Was soll die neue Regierung verändern?

An erster Stelle darf nicht länger die Abstinenz stehen. Die absolute Priorität muß statt dessen das Überleben der Drogenkonsumenten haben. Wem mit anderen Mitteln nicht zu helfen ist, der muß eben Heroin vom Arzt bekommen. Außerdem müssen die Süchtigen hygienische Umstände für ihren Konsum vorfinden: Wir brauchen endlich legale Gesundheitsräume (Fixerstuben, d.R.)! Die Mitarbeiter dort sollen keine Angst vor Strafverfolgung mehr haben müssen. Die Methadon- und Codeinsubstitution muß aufgewertet werden. Auch eine Legalisierung von Haschisch würde dazu führen, daß wir langfristig weniger Drogentote haben.

Warum?

Unsere Kinder wären doch niemals an die harten Drogen gekommen, wenn sie sich die relativ harmlose Droge Cannabis nicht beim Dealer besorgt hätten.

Eine Legalisierung von Haschisch plant die Bundesregierung nicht.

Hier sind wir schwer enttäuscht von Rot-Grün. Ein Parteitagsbeschluß der SPD und das grüne Grundsatzprogramm fordern ganz eindeutig die Legalisierung. Es ist doch nicht einzusehen, daß der Staat Verbrauch, Vertrieb und Herstellung der wirklich harten Drogen Alkohol und Medikamente kontrolliert, die Kontrolle über Cannabis aber Kriminellen überläßt.

Wenigstens die Nichtstrafbarkeit bei geringen Mengen für den Eigenbedarf soll ausgedehnt werden.

Das sind doch alles halbe Sachen, wenn man sich Cannabis weiterhin im kriminellen Umfeld besorgen muß. Man muß den Kids die Wahrheit sagen: Cannabis ist im Gegensatz zum Alkohol eine relativ harmlose Droge und keinesfalls ein Teufelszeug wie Heroin.

An welchen Zielen werden Sie die neue Regierung messen?

Im Drogenbericht steht: Die kontrollierte Heroinabgabe beginnt am 1. Januar 2000. Das ist ein sehr später Termin, hoffen wir, daß wenigstens der eingehalten wird. Wir werden auch diese Regierung drängen müssen. Interview: Robin Alexander