Wanderer, kommst Du nach ...

■ Mitten im Sanierungsgebiet Gröpelingen-Lindenhof eröffnet am Sonntag die neue StadtBibliothek West. Das Architekturbüro Rosengart nennt sie „Bücherarche“. Eine Ortsbegehung mit anschließender Liebeserklärung

Wer hierher kommt, verliebt sich. Niemand ist vor diesem Gefühl sicher, auch wenn es jeder mit anderen, manchmal seltsam klingenden Worten beschreibt. So wie der Bremer Architekt Horst Rosengart: „Das ist kulturhistorisch sehr getränkter Baugrund hier“, sagt er, und seine Augen beginnen zu leuchten. Andere sagen: „Hier ist einer der wenigen Bremer Stadtteile, die eine Seele haben“, und auch ihre Augen beginnen zu leuchten. Man kann sich an diesem Ort auch nicht dagegen wehren – hier in Bremen, Stadtteil Gröpelingen, Ortsteil Lindenhof.

Wanderer, kommst Du mal nicht zu Fuß, sondern mit der Straßenbahnlinie 2 und steigst an der Haltestelle Lindenhofstraße aus, wirst Du ein Wunder erleben. Du überquerst die Kreuzung, gehst die neu gepflasterte Lindenhofstraße entlang und erkennst, wie etwas, was nicht zusammengehört, ganz wunderbar zusammengehören kann. Rechter Hand ein Zweiradhändler und ein Supermarkt in einem längst geschlossenen Kino. Linker Hand der wohl kleinste und mit dem reichhaltigsten Sortiment ausgestattete Kiosk in der allerschmalsten Lückenbebauung der Stadt. Gleich daneben das Wohnhaus eines schon vor längerer Zeit reich gewordenen Bauern. Gegenüber ein Ledergeschäft und türkische Lebensmittelläden. Durch eine Hofeinfahrt erspähst Du, Wanderer, Minarett und Kuppel der Fatih-Moschee. Im Blick nach vorn die Kneipe, in der spät nachts die Preise plötzlich ins Astronomische steigen, damit sich der Wirt den neuesten Mercedes leisten kann. Über allem ragt der große Kornspeicher, und mittendrin glänzt jetzt etwas neues, etwas ungewöhnliches, unseren Besuch veranlassendes: die StadtBibliothek West.

Bis 1995 stand hier auf dem Platz, wo die Lindenhofstraße auf die Liegnitzstraße trifft, ein Vierteljahrtausend lang ein Bauernhaus. Er gehörte einer Familie namens Mattfeld, die beim Blick aus dem Stallfenster SozialdemokratInnen und KommunistInnen demonstrieren und feiern sah und mit anhörte, wie die einen Bremer die Neubremer aus Polen als Lohndrücker beschimpften. Sie und die Türken, die später kamen, und alle anderen hinterließen hier in der Nähe des alten Hofes ihre Spuren, und wenn man genau hinsieht, kann man sie lesen.

Vor fast fünf Jahren aber brannte das Bauernhaus ab. Es war „ein behäbiger norddeutscher Hof“, sagt Architekt Horst Rosengart. Doch die Behäbikeit oder Klobigkeit hätte ihn nicht davon abgehalten, den Hof – wie in der unendlichen Geschichte der StadtBibliothek West einmal geplant – in eine Bücherei umzubauen. Doch wegen des Feuers konnten er und sein Sohn Stefan Rosengart für die neue leere Mitte des Sanierungsgebiets Gröpelingen-Lindenhof etwas ganz anderes entwerfen: eine „Bücherarche“.

Die neue StadtBibliothek West, die mit den geschlossenen Bibliotheken in der Gesamtschule West und an der Schleswiger Straße gleich zwei Filialen ersetzt, erinnert tatsächlich an Schiff. Oder eher an ein Raumschiff. Denn in seiner ovalen Form mit den großen Fenstern im Parterre und den kleinen Luken im auskragenden ersten Geschoß sieht das Rosengartgebäude zwar völlig anders aus als die Bauten der Umgebung und wirkt doch so, als sei es im Heimathafen angekommen – man müßte sagen: gelandet.

Im Sanierungsgebiet Lindenhof war das Büro Rosengart und Partner schon an anderer Stelle tätig. Es hat das Torgebäude an der Liegnitzstraße entworfen. Mit seinem Metall-Aufsatz soll es eine Verbindung zu der noch vorhandenen Industriearchitektur schaffen. Doch während diese Idee hier etwas wuchtig und gewollt wirkt, geht das Konzept bei der Bibliothek voll auf. Wie beim nicht weit entfernten Lichthaus hat das Gebäude einen zentralen Lichthof. Das so hell erleuchtete Erdgeschoß beherbergt den Besucherbereich der Bibliothek und kann auch für Veranstaltungen genutzt werden. Außerdem ist ein Café vorgesehen, das auch den umliegenden Platz nutzen kann. Im Obergeschoß befinden sich die meisten der knapp 30.000 Medien, zu denen neben Büchern auch CDs und Software an vier Computerarbeitsplätzen gehört. Das zweite Stockwerk verbirgt wie bei einer Attika das Dach und besteht innen aus einem schiffsdeckähnlichen Rundgang. Es überwiegen helle Farben. Nur an Fenstern und an Sesseln und Sofas in den Leseecken werden Farbtupfer gesetzt.

Für die Bibliothekschefin Barbara Lison ist dieser erste Bremer Bücherei-Neubau seit über 30 Jahren Experimentierkasten und zugleich ein Beispiel für die heiß ersehnte neue Zentralbibliothek (vgl. taz vom 2. März). Gleichwohl wollen sie und der Filialleiter Siegfried Schulz mit Abendöffnungszeiten noch nicht experimentieren. Die Betonung liegt auf „noch“: „Wenn sich herausstellt, daß die Bibliothek freitags um 17 Uhr noch voll besucht ist, werden wir die Öffnungszeiten anpassen“, sagt Lison. Abendveranstaltungen sind schon jetzt geplant. Auch folgende Fakten gehören eigentlich erwähnt: Daß das Gebäude 5,5 Millionen Mark gekostet hat und von einem Erben der Bauernfamilie Mattfeld finanziert wurde; daß die Stadtbibliothek die „Bücherarche“ für 25 Jahre gemietet hat; daß in der StadtBibliothek West natürlich auch türkisch-sprachige Medien ausgeliehen werden können; daß ... Ach. Welchen Verliebten interessieren immer diese Fakten, Fakten, Fakten? ck

Eröffnung StadtBibliothek West am Sonntag, 7. März, von 11 bis 17 Uhr. Erste Abendveranstaltung: Der Ex-Werder-Torhüter Jürgen Rollmann spricht am 11. März um 20 Uhr mit Werder-Manager Willi Lemke über sein Buch „Beruf: Fußballprofi“.