„Konsens und Keule geht nicht zugleich“

■ Die Bundesvorstandssprecherin der Bündnisgrünen, Gunda Röstel, will um gesellschaftliche Mehrheiten für Rot-Grün kämpfen, befürwortet den Strategiewechsel in der Atompolitik und beklagt das Manko ihrer Partei in der Außenpolitik

taz: Frau Röstel, trauen Sie sich zu, die Grünen alleine zu führen?

Gunda Röstel: Diese Frage steht im Moment so nicht an. Aber ich habe es bereits einmal gemacht, als Jürgen Trittin ins Bundeskabinett wechselte.

Für Joschka Fischer ist eine klare Führungsverantwortung, und das bedeutet eine Person an der Spitze, entscheidend für das Schicksal der Partei, und das liegt Ihnen doch auch am Herzen.

Selbstverständlich. Aber wir haben seit Dezember mit dem verkleinerten Vorstand und dem Parteirat neue Strukturen, die wir erst einmal positiv nutzen sollten.

Die Sprecherinnen sind vor allem Galionsfiguren der Flügel, und die gelten als überholt.

Bezüglich der Parteiflügel haben Sie recht. Was uns selbst betrifft, so sehen wir uns als Sprecherinnen der Gesamtpartei. Und natürlich ist dies auch eine Frage der Repräsentation von Frauen. Da hat unsere Partei mit der weitgehenden Quotierung klare Signale gesetzt. Wenn man über die Abschaffung einer Doppelspitze nachdenkt, dann muß man überlegen, wie man die hinreichende Repräsentanz der Frauen in Führungspositionen bei den Grünen auch künftig gewährleistet. Da warte ich auf Vorschläge.

Für ihre Berliner Parteifreundin Renate Künast ist die Quote als Frauenförderinstrument ausgereizt. Persönliche Qualitäten, Qualifikationen und Ellenbogen seien eher gefragt.

Ich denke, daß wir viele engagierte und geeignete Frauen haben. Aber bei Koalitionsverhandlungen und Kabinettsbesetzungen hat sich gezeigt, daß das nicht reicht. Das war auch eine Lehre für die Frauen. Ob man nach wie vor eine strukturelle Unterstützung braucht, kann man diskutieren. Aber das ist nicht die einzige Frage. Die Probleme, die wir im Augenblick in der Öffentlichkeit haben, sind auch durch das Auftreten in der rot-grünen Regierung bedingt. Deshalb muß man über Strategien in der Regierungsarbeit reden. Zum anderen hat sich ein längerfristiger Trend durchgesetzt, der sich an den Stimmenverlusten unter jüngeren Wählern und Frauen ausmachen läßt.

Der Bundestagsabgeordnete Matthias Berninger bewirbt sich um den hessischen Landesvorsitz. Sie wollen in den sächsischen Landtag einziehen. Wem von Ihnen gebührt denn der Ruhm, als erster die Trennung von Amt und Mandat aufgehoben zu haben?

Matthias Berninger hat Chancen, den Posten zu bekommen. Aber das ist eine Entscheidung des Landesverbandes Hessen. Bei mir sieht es etwas anders aus. Ich kandidiere, sofern die Partei in Sachsen es will, als Spitzenkandidatin. Dann müssen wir erst einmal die Wahl gewinnen. Wenn wir uns weiter Schlagzeilen leisten wie „Grüne streiten sich“, sind die Erfolgschancen nicht die besten.

Aber würden Sie Sprecherin bleiben wollen, auch wenn Sie in den Landtag einziehen?

Zunächst einmal konzentriere ich mich auf den Wahlkampf und würde mich freuen, wenn sich dieses Problem überhaupt objektiv stellt. Es würde dann aber nicht nur von mir, sondern auch von der Partei zu beantworten sein.

Joschka Fischer will der Partei bis zur Mitte der Legislaturperiode Zeit geben, um sich zu reformieren.

Das muß viel schneller gehen. Wir haben alleine in diesem Jahr noch 15 Wahlen. Deshalb will ich die Debatte in unserer Partei auch über das Grundsatzprogramm vorantreiben.

Die Doppelte Staatsbürgerschaft wird, wenn überhaupt, nur befristet eingeführt, der Atomausstieg wird nun im Konsens mit den Konzernen geregelt. Sind die Grünen eine Umfaller-Partei?

Nein. Natürlich ist die Differenz zwischen hohen programmatischen Ansätzen und dem, was den Mehrheitsverhältnissen sowohl in der Koalition als auch in der Gesellschaft geschuldet ist, vorhanden. Es reicht nicht, darüber zu jammern. Wir müssen kämpfen, um andere Mehrheitsverhältnisse in der Bevölkerung hinzubekommen. Es reicht nicht, wenn wir uns toll finden. Die Wähler müssen uns gut finden. Da ist in den letzten Jahren einiges versäumt worden. Wir müssen werben für unsere Projekte, das haben wir bislang zuwenig getan. Dazu gehört natürlich Streit, aber ein produktiver Meinungsstreit in der Sache.

Welchen Wert hat dann noch der Koalitionsvertrag? Ist er die Bibel oder eher der Otto-Katalog der Koalition?

Er ist keines von beidem. Der Koalitionsvertrag ist eine ganz zentrale Arbeitsgrundlage. Wenn es notwendig wird, Änderungen durchzuführen, sei es aus sachlichen Überlegungen heraus, sei es aufgrund veränderter Mehrheitsverhältnisse, dann halte ich das für möglich. Das müssen beide Parteien beschließen und es darf nicht ein Katalog der Beliebigkeiten werden.

Sieht das die SPD genauso?

Es besteht Übereinstimmung bei beiden Koalitionspartnern, die Kommunikation zu verbessern. Dazu sind die Strukturen in den letzten vierzehn Tagen verbessert worden.

Auf welchen Feldern wollen denn die Grünen in der nächsten Zeit mit originärer Politik gesellschaftliche Mehrheiten gewinnen?

Beim Thema Energiepolitik haben wir nach wie vor eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz. Zwei Drittel der Bevölkerung wollen den Atomausstieg...

...aber nur 24 Prozent will ihn sofort.

Ja, natürlich. Für die Leute ist weniger entscheidend, ob er in neun oder elf Jahren passiert. Sie wollen raus und es darf nichts kosten. Die Leute wollen aber vor allem eine Alternative sehen, die glaubwürdig und umsetzbar ist. Die technologischen Chancen, die Arbeitsplatzpotentiale der Energiewende, all das haben wir zuwenig kommuniziert.

Also war es richtig, aus dem Ausstiegsszenario das Tempo rauszunehmen?

Ich finde diesen Strategiewechsel richtig. Er bringt mehr Ruhe in die Auseinandersetzung. Konsens und Keule gehen nicht zugleich. Der Strategiewechsel spielt den Ball in das Lager der Elektrizitätsunternehmen. Jetzt werden wir sehen, ob sie blockieren oder welche Angebote sie offerieren.

Beim Bündnis für Arbeit sitzen die Grünen mit am Tisch, aber was haben sie zu sagen?

Das Bündnis für Arbeit bietet nach zwei Sitzungen Anlaß zu Optimismus. Aber es könnten noch eine Reihe von Instrumenten zur Verbesserung der Lage am Arbeitsmarkt entwickelt werden.

Entwickeln Sie doch mal.

Das muß man gut vorbereiten. Chancen für junge Menschen und für Frauen müssen Schwerpunkte der Arbeit werden. Wir können auf Konzepte zurückgreifen, die wir in den letzten vier Jahren entwickelt haben, etwa moderne Arbeitszeitmodelle, Bonus-Malus- Systeme. Das werden wir einbringen.

Und was bringen Sie in die Auseinandersetzung um staatlich subventionierte Niedriglohnverhältnisse ein?

Da suchen wir noch nach Antworten und nach praktikablen Konzepten. Es ist aber, auch bei den Grünen, nicht ganz einfach, diese Debatte offen und unideologisch zu führen.

Und wie sieht die Meinungsbildung bei der Frage der Lohnleitlinien aus?

Wir haben die Tarifautonomie, und ich möchte nicht, daß die Politik zum Spielball der Funktionäre beider Seiten gemacht wird. Ich möchte in beiden Lagern dafür werben, daß unkonventionelle Lösungen gefunden werden, die den unterschiedlichen Situationen Rechnung tragen. Man muß sich fragen, was maßvolle Abschlüsse sind, wenn man sich etwa den Klein- und Mittelständler im Osten einerseits und die Großbetriebe der Metallindustrie in Baden-Württemberg andererseits anschaut.

Reden Sie jetzt der Öffnung der Tarifverträge das Wort?

Das will ich nicht tun. Ich erwarte von den Tarifpartnern, daß auf die spezifischen Situationen in der Wirtschaft, aber auch auf Arbeitnehmerseite, besser reagiert werden kann. Oberstes Ziel muß der Erhalt der Arbeitsplätze sein.

Auf dem Feld der Außenpolitik profilieren sich die Grünen vor allem in der Person ihres Außenministers. Die Partei hingegen geht anscheinend auf Konfrontationskurs zu ihm. Während Fischer die WEU ausbauen will, steht im Europawahlprogramm, die WEU solle aufgelöst werden.

Die Differenzen sind bekannt. Es ist eines der Felder, auf dem die Grünen ein Manko haben. Es beginnt bei dem Verhältnis zu Militärstrukturen, zur Nato und es reicht aktuell bis zur WEU. Es ist eine der Grundsatzdebatten, denen sich unsere Partei stellen muß.

Wie lange können die Grünen mit solchen Unklarheiten auf zentralen politischen Feldern leben?

Die Grünen haben in den letzten Wochen gezeigt, daß sie in der Lage sind, zu unterscheiden, was programmatisch wünschbar und was gesellschaftlich machbar ist. Die Partei muß jetzt in eine offene Programmdiskussion treten, die über die tagesaktuelle Politik hinausreicht. Interview: Dieter Rulff