Schlafende Hunde oder alte Hüte?

Warum bricht die SPD-Spitze eine PDS-Diskussion vom Zaun? In der Partei hat das große Rätselraten begonnen. Soll die PDS als Mehrheitsbeschaffer im Bundesrat herhalten? Oder waren wieder die Medien schuld?  ■ Aus Bonn Markus Franz

Die SPD hatte sich jüngst so viel vorgenommen. Die Koordination zwischen Regierung, Fraktion und Partei sollte entschieden besser werden – und dann das: Die Parteispitze will das Koalitionsverbot mit der PDS auf Länderebene förmlich aufheben. Abgeordnete murren, das Kanzleramt schweigt, die Opposition frohlockt.

Zwar sollen die Medien mal wieder an allem schuld sein, aber die SPD-Basis fragt sich doch: Was zum Teufel treiben die da oben eigentlich?

Zum jetzigen Zeitpunkt sei die Diskussion über die PDS völlig überflüssig, ist sich die Fraktion weitgehend einig. Auch im Kanzleramt schütteln sie erstaunt die Köpfe, obwohl der Kanzler in der Sache nicht anderer Meinung als der Parteichef ist. Müssen wir uns denn ausgerechnet jetzt neuen Ärger einheimsen, heißt es.

Daß Bundesgeschäftsführer Ottmar Schreiner den Stein ins Rollen brachte, mochte ja noch angehen. Der Ottmar, sagen sie in der Fraktion, ist halt eine ehrliche Haut. Er wurde von Journalisten zum Verhältnis zur PDS befragt und hat eben eine ehrliche Antwort gegeben. Er habe sich zwar „unglücklich“ ausgedrückt, hätte nun wirklich nicht so weit gehen müssen, einer förmlichen Korrektur der Dresdner Erklärung das Wort zu reden, aber das allein wäre kein Unglück. Daß ihm allerdings Parteichef Lafontaine so ausdrücklich beisprang, das sei dann doch des Guten zuviel gewesen.

Warum macht er das? rätseln die Sozialdemokraten. Wollte Lafontaine sich mal wieder als Chef aller Sozialdemokraten profilieren? Es sei ja schon merkwürdig, heißt es aus dem Kanzleramt, daß sich ausgerechnet derjenige, der sich über mangelnde Absprachen mit dem Kanzleramt beschwert, nun selbst vorpresche. Andererseits ist die Koalitionsfrage in den Ländern eher eine Angelegenheit der Partei als des Kanzleramtes. Warum soll der Parteivorsitzende daher nicht dem Bundesgeschäftsführer der Partei beispringen, indem er die Angelegenheit zum „alten Hut“ erklärt?

„Die Diskussion ist nicht durch Zufall zum jetzigen Zeitpunkt hochgekommen“, sagt Fraktionschef Peter Struck und will damit andeuten, daß die Medien und die Opposition das Thema hochkochen. Aber schließlich haben Schreiner und Lafontaine nicht unter vorgehaltenen Waffen Stellung bezogen. Und so hat Strucks Äußerung vielleicht doch einen Sinn: Es war also kein Zufall, daß Schreiner und Lafontaine die Diskussion befördert haben.

Nach mehreren Nachfragen in einer Journalistenrunde ließ Struck gestern heraus, weshalb nicht. Die Diskussion habe ja deshalb einen „gewissen Charme...“, setzte Struck an, nahm das Wort „Charme“ zurück und sagte dann: „Die Diskussion hat Aktualität durch die Situation im Bundesrat bekommen.“ Vor der Hessen- Wahl habe die SPD noch die Mehrheit im Bundesrat gehabt, danach nicht mehr.

Die PDS also als potentieller Mehrheitsbeschaffer im Bundesrat für Gesetzesvorhaben der Bundesregierung? Im September stehen schließlich Wahlen im CDU-regierten Sachsen und im schwarz- rot regierten Thüringen an. In beiden Bundesländern könnte die PDS die CDU aus der Regierung verdrängen und damit den Einfluß der Union im Bundesrat reduzieren.

In der Fraktion wiegeln sie allerdings ab. Wisse denn jemand, ob die PDS nicht die Koalitionskarte ziehen und bei Abstimmungen im Bundesrat auf eine Stimmenthaltung hinwirken würde? Aber weiß jemand das Gegenteil? Bei den 630-Mark-Jobs will sich das SPD- PDS-regierte Mecklenburg-Vorpommern im Bundesrat enthalten. Bei anderen Gesetzesvorhaben kann das anders aussehen.

Trotzdem bleibt die Frage ungeklärt, warum der Parteichef ausgerechnet jetzt Stellung bezogen hat. Die Regierungsbeteiligung der PDS in Mecklenburg-Vorpommern, sagen die einen, sei schließlich relativ reibungslos über die Bühne gegangen. Man habe jetzt nur schlafende Hunde geweckt. Schließlich seien viele in der SPD noch nicht soweit, Koalitionen mit der PDS zu akzeptieren, auch wenn eine deutliche Mehrheit nichts dagegen habe.

Andere wie der Abgeordnete Christoph Matschie sagen dagegen, die Öffentlichkeit habe ein Anrecht darauf, vor Landtagswahlen zu wissen, woran sie in Koalitionsfragen ist. Möglicherweise habe Lafontaine es vorgezogen, die Debatte lieber jetzt zu führen als kurz vor den Wahlen. Aber ob sich die SPD den Zeitpunkt der Debatte aussuchen kann? Peter Struck sagte gestern resigniert: „Diese Debatte werden wir so lange haben, wie es die PDS gibt.“