Rot-Grün verharmlost Waffenexporte

■ Das Auswärtige Amt wahrt Kontinuität: Wie unter Kinkel will auch Fischers Außenministerium nichts davon wissen, daß deutsche Waffen in der Türkei gegen Kurden eingesetzt werden. Die Industrie will erneut Panzer liefern

Berlin (taz) – Bei den seit Jahren umstrittenen deutschen Waffenexporten in die Türkei scheint die neue Bundesregierung die Interpretation ihrer Vorgängerin übernehmen zu wollen. „Die Bundesregierung verfügt über keine Erkenntnisse, daß aus Deutschland gelieferte Waffen von den türkischen Streitkräften gegen die kurdische Zivilbevölkerung oder bei grenzüberschreitenden Operationen eingesetzt wurden“, heißt es in einem gestern bekanntgewordenen Schreiben des Auswärtigen Amts an die beiden PDS-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke und Winfried Wolf.

In der Antwort auf die Kleine Anfrage der PDS-Bundestagsfraktion wird die Haltung der früheren christlich-liberalen Koalition indirekt verteidigt. Die Bundesregierung „ist in der Vergangenheit allen Hinweisen auf einen vermuteten Einsatz durch die Türkei entgegen vertraglichen Zusicherungen oder Endverbleibzusagen sehr sorgfältig nachgegangen. Bisher konnte in keinem Fall ein Beweis für einen Verstoß gegen eingegangene Verpflichtungen erbracht werden“, heißt es. Die Aussage des Auswärtigen Amts, die im Namen der Bundesregierung abgegeben wurde, steht im Widerspruch zu Berichten und Fotos, die in der Vergangenheit den Einsatz deutscher Rüstungsgüter belegten. So hatte unter anderem medico international Mitte der 90er Jahre in einer Dokumentation nachgewiesen, daß Panzer aus Beständen der ehemaligen Nationalen Volksarmee der DDR, die der Türkei nach der Vereinigung von der Bundesregierung überlassen worden waren, im Osten der Türkei zum Einsatz kamen. Im Herbst 1995 hatte der damalige türkische Verteidigungsminister Vefa Tanir vor einer Delegation des Bonner Verteidigungsministeriums um „Verständnis“ dafür gebeten, daß „zum Schutz gegen Terroristen“ auch aus Deutschland eingesetzte Panzer verwendet werden müßten.

Verärgert über die Reaktion ihrer Regierung zeigte sich gestern die verteidigungspolitische Sprecherin der bündnisgrünen Bundestagsfraktion, Angelika Beer. „Mit der Antwort des Auswärtigen Amts bin ich überhaupt nicht zufrieden“, erklärte sie gegenüber der taz. Beer hatte Mitte der 90er Jahre als Angehörige einer Delegation den Osten der Türkei besucht. Dabei habe sie „mit eigenen Augen deutsche Panzer fahren sehen“, erklärte sie gestern. Sie hätte sich gewünscht, „daß die neue Regierung zunächst einmal die damals erhobenen Vorwürfe überprüft hätte“. Mit der „voreiligen“ Antwort, die im Duktus des früheren Verteidigungsminister Volker Rühe abgefaßt sei, habe die Regierung „eine Chance vertan“.

Das sensible Thema deutscher Rüstungsexporte in die Türkei wird die Bundesregierung bald wieder beschäftigen. Derzeit liegt eine Voranfrage deutscher Konzerne beim Bundessicherheitsrat auf dem Tisch, bestätigte das Auswärtige Amt. Nach Informationen der Kampagne gegen Rüstungsexporte geht es in der Voranfrage zunächst um die Lieferung von 200 Schützen- und Transportpanzern des Typs „Fuchs“. Außerdem will die türkische Regierung eine Genehmigung zum Lizenzbau von weiteren 1.800 Transportpanzern.

Über Waffenexporte in Länder, die etwa im Verdacht der Menschenrechtsverletzungen stehen, muß der Bundessicherheitsrat entscheiden. Dem siebenköpfigen Gremium unter Vorsitz des Verteidigungsministers gehören unter anderem Finanzminister Oskar Lafontaine, Außenminister Joschka Fischer und Kanzleramtsminister Bodo Hombach an. Berufen wurde auch Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. Sie hatte sich bereits in mehreren Interviews, darunter in der taz, für eine restriktive Auslegung der Rüstungsexportbestimmungen ausgesprochen.

Das Gremium, dessen Sitzungen vertraulich sind, hatte bereits vor rund sechs Wochen getagt. Bei dem Treffen war zwar das Thema der Rüstungsexporte an die Türkei besprochen, eine Entscheidung allerdings wegen der Abwesenheit von Außenminister Joschka Fischer vertagt worden. Severin Weiland