■ Kolumne
: Schlagerdämmerung

Heimlich, still und von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt verstarb kürzlich der Deutsche Schlager. Der Todeszeitpunkt ist im nachhinein schwer festzustellen, vielleicht war es der Moment, als Reinhard Mey die Nominierung für den Starpreis „Echo“ in der Kategorie Schlager zurückwies, aufgrund dessen „peinlicher Anspruchslosigkeit“. Oder war es, als Dieter Thomas Kuhn seine Selbstauflösung verkündete (verbunden mit der Drohung demnächst unter anderem Namen mit „anspruchsvollem“ Material zurückzukommen)? Jedenfalls ist der Schlager tot, und wir wollen nicht trauern.

Oh, höre ich da Einwände? Der Schlager sei wohl kaum tot, wo in jedem bundesdeutschen Marktflecken allwochenendlich eine fröhliche Schlagerrevivalsause abläuft? Doch, doch, denn „im Moment gibt es nur schlechten Schlager“, befindet einer, der's wissen muß – Roland Kaiser. „Die Kunden für den deutschen Schlager gibt's nicht mehr, die sind irgendwann verstorben“, trauert er im Interview in der Musikwoche. Und fügt hinzu: „Wenn ich das Gerede vom Schlager-Revival höre – ist doch alles Quatsch. Es gibt ein Revival der alten Nummern, aber in den Charts findet der klassische Schlager nicht mehr statt.“ Kaiser weiß aber auch Lösungen zur Behebung der Krise: „Wir müssen zeitgemäßer arbeiten, witziger werden“ – und empfiehlt Rosenstolz, Fettes Brot und die Ärzte: „-Männer sind Schweine- – klasse. So etwas haben früher Leute wie Udo Jürgens gemacht.“

Eigentlich einleuchtend: Die Ärzte als neuer Udo Jürgens, Xavier Naidoo als die neuen Flippers und Fettes Brot als neuer Roland Kaiser. Klug auch, daß er das Revival als eine Sache empfindet, die mit dem, was da gerade revivalt wird, eigentlich gar nichts zu tun hat. Revivalismus ist schon lange ein Stil für sich, der sich zunehmend verselbständigt. Und wahrscheinlich ist Guildo Horn – noch so ein cleverer Hund! – im Moment nicht deswegen so schweigsam, weil er gerade an einem albernen Film arbeitet, dessen Scheitern vorprogrammiert scheint, sondern weil er bereits über der Inszenierung seines eigenen Revivals brütet.

Tot aber, wirklich richtig tot ist der Schlager, den man früher immer gehaßt hat, als wahrhaftigste Äußerung deutschen Befindens, als Kleinster Gemeinsamer Nenner der Schweigenden Mehrheit. Die Dinge sterben eben immer dann, wenn man's am wenigsten von ihnen erwartet. Auf keinen Fall dürfen wir jedoch deswegen milde oder gar wehmütig werden. Wir werden weiter gebraucht. Denn so, wie die Dinge sterben, wenn man sich gerade mit ihrer Unsterblichkeit abgefunden hat, so erstehen auch jene wieder auf, die man für unwiederbringlich tot, ausgerottet und verwest hält. Einige aktuelle Beispiele: Kraut-Rock, Progressive Rock, das Harvest-Label, Pink Floyd, Duran Duran. Und bevor Visage, Triumvirat, Theatre Of Hate oder Uriah Heep in Ehren wiedereingesetzt werden und bevor Tortoise ihr Dark Side Of The Moon für die Doppelnull-Jahre des nächsten Jahrhunderts aufnehmen, heißt es also weiter wachsam sein, kämpfen, Soldat werden. Auf den Tod des Schlagers sollten wir trinken, aber es passen noch ein paar Kerben auf den Lauf der Kalaschnikow.

Detlef Diederichsen