Freiheit für den Pickel

■ Der Sturmfrisurträger und vitalitätsberstende Schnellredner Mark Formanek macht die Besucher des „Künstlerhauses“ 10 x glücklich

rchive dokumentieren die Vergangenheit und kommen Menschen der Gegenwart bisweilen teuer zu stehen – von Gaucks Aktenmetern der Stasi bis zu Hermann Pohls Material über die Deutsche Bank in der Nazizeit. Politik und Wirtschaft, Steuerflucht in Vorderindien und Taufregister in Oberviechtach, alles ist für die Ewigkeit bewahrt. Wo aber bleibt das pulsierende Leben? Vielleicht hat sich das Mark Formanek gefragt, als er 1991 beliebige Wie-du-und-ich-Menschen bat, beliebige 100 statements für die Ewigkeit (oder zumindest für eine kleine Broschüre) zu verfassen. Eine Sorte von Archiv, die garantiert für nichts und niemanden Konsequenzen hat; dafür umso mehr Aussagekraft für die Zunft der Soziologen, meint Formanek. Vor allem aber ist das chaotische Gemenge aus statements über Pudding, Che Guevara, den Sinn des Lebens und die beste Mövenpickeissorte (Walnuß!) nobelpreiswürdige Literatur. Die Komplexität und Widersprüchlichkeit eines Menschen wird auf einer einzigen schlunzigen DIN A 4-Seite ähnlich deutlich wie in fetten Joyce- oder Musil-Romanen. Person Nr. 33 etwa warnt auf Position 041 „Vertrauen ist Selbstmord“, korrigiert aber diese Miesmuscheligkeit drei Zeilen später auf 044 („Let the sunshine in“), um dann noch ein wenig zu informieren („Ich mag keine Spinnen“) und aufs Wunderbarste zu philosophieren (“Heute beginnt der Rest meines Lebens“). Person Nr. 34 klagt erbarmungswürdig „100 statements sind viel“, rettet sich aber souverän aus ihrer Themennot durch kluge Bemerkungen über das Zähneputzen und geschmorte Leber. Person Nr. 35 hat das Unglück, Skeptiker zu sein. Sie beginnt ihre Litanei ein wenig kontraproduktiv mit einem verdiktischen: „Alles Geschriebene ist Schweinescheiße.“ Trotzdem rührt ihre Lebensniederlage – „Ich war noch nie in Afrika“ – sehr. Aber kann man ihr glauben? Schließlich postuliert sie: „Alles ist zweifelhaft.“

Die Archivierten nutzen dieses Forum nicht nur, um möglichst umfassend ihren Alltag und ihre Lebenseinstellung mit Lichtenbergscher oder Montaignescher Präg-nanz zu offenbaren. Viele werden, wohl, angeregt durch ihre Vorgänger, zu wahren Sprachkünstlern mit Sinn für den Sinnbruch: „Schwanz und Eier in den Mund. – Stickrahmen muß man spannen. – Nehmen sie Faulkner.“ Ist am Ende Rolf-Dieter Brinckmann wiederauferstanden?

Diese tolle verbale Fundgrube ist Teil einer spannenden, wagemutigen Ausstellungsreihe im Künstlerhaus, die mit viel Augenzwinkern (und Haß auf den McKinseyanismus) Kunst als Dienstleistung der etwas anderen Art interpretiert. Formanek betreibt Kunst nicht als autistische Selbstbefriedigung. Er will der Menschheit eine Freude bescheren. Etwa indem er in den nächsten Tagen 93 Münzen (Wert: 1Pf bis 1DM) in 500 Metern Abstand zum Künstlerhaus glücksbringend verstreut. Wer dann immer noch leidet, kann sich von einer Beichtstuhlmaschine Trost einflüstern lassen. „Trost 1x1 Mark“. Ist schließlich eine Dienstleistung. „Ich selbst bin ein ausgesprochen lebensbejahender Mensch“, schnellrednert Formanek, „und dennoch finde auch ich es tröstlich, daß es einen Tröster gibt.“

Eine Kurzbiografie behauptet zwar, daß der 32jährige 7 Jahre lang an der Münsteraner Kunstakademie studierte, viel wahrscheinlicher ist es jedoch, daß es sich bei ihm um einen Ex-Punk handelt, der irgendwann einmal die Schnauze voll hatte vom Haste-mal-ne-Mark-Sagen. Jedenfalls muß jeder eine Mark löhnen, der ein digital zerfetztes Möchs-Ohms zum Zwecke finaler Erleuchtung hören oder die Pickel in seinem Gesicht durch einen Blumenstempel drumherum zum Blühen bringen möchte.

In zehn interaktionspersiflierenden Anordnungen outet sich Formanek als kauzig-ironisch-sentimentaler Propagandist des Hier und Jetzt. Endlich bemüht sich da einer, Pickeln, zerbrochenen Kaffeetassen, Scheinweisheiten, Gluckergeräuschen beim Trinken und anderen unvermeidbaren Manifestationen des Lebens zu ihrem Recht zu verhelfen. bk

Bis 25.3., Öffnungszeiten: Di-Fr 16-19h, So 13-16h, Am Deich 68