Zwischen Provinz und Mythos

Der Medienstandtort Berlin boomt. Doch weder auf dem heißumkämpften Zeitungsmarkt noch in den Film- und Fernsehanstalten gibt es ein Rezept für den Erfolg  ■ Von Rolf Lautenschläger

Wer von den Medien in Berlin redet, meint heute auch immer: Berlin in den Medien. Unübersehbar ist, daß sich die Hauptstadt und ihre Protagonisten in den Vordergrund spielen. Die Schauplätze des politischen, sozialen und kulturellen Lebens dringen ein in die Zeitungsredaktionen, Fernsehstudios und Filmwelten. Hauptstadtseiten werden gedruckt, der „Bericht aus Berlin“ geprobt und spektakuläre Drehorte ausgewählt. Wer die gesellschaftlichen und realen Baustellen in Berlin ignoriert, gerät in den Ruf, nur mehr Zeitgenosse oder Dokumentarist der Bonner Republik bleiben zu wollen.

Keiner will das, und doch ist der Blick auf die Hauptstadt und die Vermittlung der Bilder mehr von Merkwürdigkeiten statt von Klarsicht geprägt: Die Hauptstadt ist fremd oder provinziell, superneu oder ostwestalt – eben noch Mythos. Unvergessen etwa bleibt die Spiegel-Reportage über den „verwahrlosten“ Zombie-Bezirk Neukölln. Der Beitrag geriet zum Showdown medialer Berichterstattung über das neue Berlin.

Auch andere Medien tun sich schwer: Die Süddeutsche Zeitung etwa, die ab Ostern mit täglich zwei Seiten aus Berlin aufmacht, hat bislang kein Konzept vorgestellt. Sicher ist nur, daß anstelle der wöchentlichen Berlin-Seite, die mehr touristischen Begehrlichkeiten Rechnung trug, nun mit einer Programm-Seite und Reportagen hantiert werden soll. Jakob Augstein, Büroleiter der SZ-Berlin-Redaktion im Aufbau, hat bislang verlauten lassen, daß die „Seiten hauptsächlich Spaß machen sollen“.

Kaum weniger entschieden im heißumkämpften Zeitungsmarkt gibt sich die Frankfurter Rundschau, die mit einer wöchentlichen Seite einen Mix aus Kultur, gesellschaftlichem Leben und Politik vorstellt und dabei zurückbleibt hinter der Berichterstattung der Welt, die die Seite 2 mit „Hauptstadt“ präsentiert. Daß sie darin ihre Themen überwiegend nachrichtlich hält und nur vereinzelt mit einem großen Beitrag aufmacht, zeugt von der Nähe zu ihrem Regionalteil. Hauptstadtseiten – Beiträge, die das Besondere, die neuen Gesichter und Themen aus der Metropole zusätzlich anpacken –, sehen anders aus.

Vielleicht so, wie die FAZ es ab dem Herbst versucht: Bei ihr soll ein eigener Zeitungsteil für die Hauptstadt mit acht Seiten täglich erscheinen und von den Ressorts Politik und Feuilleton gestaltet werden. „Wir wollen den Lesern in der Hauptstadt etwas Neues bieten“, erklärt FAZ-Geschäftsführer Jochen Becker, „keine klassische Lokalzeitung“; ein Anspruch, den sich die taz sich mit ihrer Hauptstadtberichterstattung ebenfalls auf die Fahnen geschrieben hat.

Merkwürdig stilisiert ist auch noch die Berliner Realität, die die aktuellen Film- oder Fernsehproduktionen abbilden. Da mischt sich die Hoffung auf Großstadt und die Sehnsucht nach Kiez, Nachrichten vom Nabel der Welt und Kleingeistigkeit. „HeliCops“ ist zwar Aktion pur, aber die Geschichten aus der Stadt bleiben beliebig. Nicht weniger Klischee ist „Wolffs Revier“, das auch das von „Doktor Brinkmann“ sein könnte.

Die Defizite an der Unverwechselbarkeit der Dinge und Orte sehen die Programmacher. Für die privaten Anstalten wie Sat.1 oder Filmproduktionen wie Novafilm arbeiten deshalb seit kurzem Locations-Scouts, die auf die Suche gehen und Ahnung von geeigneten Drehorten haben: Etwa Drehorte wie diesen, wo Lola unter S-Bahnbrücken oder durch Straßen rennt, deren Atmosphäre sich in die Imagination einprägt.

Daß die Medienstadt Berlin in Bewegung ist, registriert auch Michael Andreas Butz, Sprecher des Regierenden Bürgermeisters und zugleich Medienbeauftragter des Landes. „Die Film- und Medienmetropole boomt“, so Butz. Berlin sei auf dem Weg zum Mekka der künftigen Medien- und Informationsgesellschaft. Die steigende Zahl der Filmproduktionen spreche „für das produktionsfreundliche Klima der Region“. Und „spannende Locations, gute Infrastruktur“ sowie der Aufbruch von Fernsehanstalten und Zeitungsredaktionen in die Hauptstadt unterstrichen, daß Berlin auf dem Weg „zum zentralen Medienstandort“ sei.

Die Medienindustrie mit rund 100.000 Beschäftigten, sagt der Beauftragte, „ist mittlerweile eine wichtige Säule der Berliner Gesamtwirtschaft und könnte bei anhaltendem Entwicklungstrend das verarbeitende Gewerbe an Bedeutung gar überflügeln“.

Aufs Ganze gesehen liegt Butz zwar nicht daneben, die Medienkurve zeigt nach oben. Daß sich die Brache aber noch schwer tut, ist ebenfalls unübersehbar.

Nach einem Bericht der Senatsverwaltung für Wirtschaft arbeiten in der Medienindustrie rund 70.000 Menschen, das kommt einem Anteil an der Gesamtbeschäftigtenzahl von knapp sieben Prozent gleich. Der Zuwachs von 20.000 Arbeitsplätzen und mehr, so die Studie, sei erst in Jahren zu erwarten. Der Umsatz liegt derzeit bei über 18 Milliarden Mark, aber in der Rangfolge der Fernseh- oder Verlagsstädte rangiert Berlin noch immer hinter München beziehungsweise Hamburg.

Obwohl die Filmstadt mit Produktionen wie „Aimée & Jaguar“ oder „Lola rennt“ 1998 und 1999 Ausreißer produzierte, die auch international Aufsehen erregten, hat sich „der Drehort Berlin“ noch nicht arriviert. Das liegt daran, daß die Mittel der Filmförderung, für die Berlin und Brandenburg gemeinsam 26 Millionen Mark ausgeben, gering sind.

Im Vergleich dazu bedeuten sie einen Klacks gegen die Investitionen von Nordrhein-Westfalen oder Bayern, die ihren Filmemachern 50 Millionen und mehr zugestehen. Hollywood ist noch in weiter Ferne, trotz eines Kinobooms von 200 Filmtheatern.

Keine guten Noten erhält die Medienstadt von den ansässigen Privatsendern.

Zwar befindet sich die Stadt im Ausbau zum Nachrichten- und Fernsehstandort – das Bundespresseamt hat seinen 220-Millionen-Bau an der Spree eröffnet, ebenso das ZDF im umstrittenen Denkmal „Zollernhof“, von dem 70 Prozent abgerissen wurden, und die ARD errichtet ihr Hauptstadtstudio in der Nähe des Reichstags. Doch insbesondere die Privatsender fordern, wie private Filmproduzenten auch, mehr Engagement des Senats. Der Standort Berlin, betont Kristina Faßler, Sprecherin bei Sat.1, sei „hochspannend“.

Der Sender habe wegen des Regierungsumzugs und der „attraktiven Locations“ sein Sendezentrum für 250 Millionen Mark mit 800 Arbeitsplätzen hier errichtet. Doch im Unterschied zu anderen Bundesländern „tut Berlin wenig für die Medienansiedlung“. Faßler: „Da spielt Berlin noch in einer anderen Liga.“ Insbesondere kritisiert sie, daß Film- und Fernsehfragen „nicht Chefsache“ seinen. Statt zusätzliche Standortförderung zu betreiben, hoffe das Land auf die Eigeninitiative der Sender. Außerdem fehle es an „Verfahren“, die etwa Drehgenehmigungen erleichtern.

Faßler spielt damit auf die Probleme bei Spielfilmproduktionen an. Wer etwa auf Straßen drehen wolle, müsse erst ein Packen Drehgenehmigungen anschleppen, bevor die erste Klappe fällt. Dem Senat ist nicht neu, daß es hier hakt. Deshalb, so Michael Andreas Butz, wolle der Senat eine Vorlage beschließen, der die Dreharbeiten auf Straßen und in öffentlichen Liegenschaften „merklich erleichtert“. Der Königsweg nach Hollywood-Berlin ist das nicht, aber ein Anfang.