Gäste haben   ■  Von Joachim Schulz

Schön ist es, Gäste zu haben. Versammelt man liebe Freunde bei sich zu Hause um eine schwer beladene Tafel, wird man zum Dank mit einem nicht enden wollenden Geplauder der launigsten Sorte belohnt, das vor Schnurren und humorigen Erlebnisberichten nur so funkelt.

Zudem hat eine absichtslose und quietschvergnügte Abendgesellschaft dieser Art ja praktisch als revolutionärer Akt zu gelten, seitdem die Sozialwissenschaft herausgefunden hat, daß die zeitgenössischen Menschenwesen nichts anderes als die fleischgewordene Selbstsucht sind, ihre Mitkreaturen nur noch als Widersacher im täglichen Karrierekampf betrachten und deshalb auch bei der Begegnung mit alten Freunden nur noch an eins denken: Nämlich wie sie es wohl hinkriegen können, diese Burschen so die Treppe hinunterzuschubsen, daß es wie ein Unfall aussieht.

Der erfreulichste Aspekt einer solchen Veranstaltung besteht indes in ihren Nachwirkungen, denn noch Wochen später werden die Gäste ein Gesicht wie in einer Tiefkühlpizzareklame machen, sobald man sie wiedertrifft, und dann schnurren: „Mein Gott, dieses Schmorhuhn - mein Gott!“

Insofern springen die Liebste und ich mopsfidel wie zwei junge Tiger aus dem Bett, als der Wecker den süßen Samstagmorgenschlummer zersägt und uns daran erinnert, daß wir noch einen halben Zentner Zutaten einkaufen müssen. Frohgemut treten wir hinaus auf die Straße, wobei wir uns mit einem artgerechten Tigerknurren noch einmal versichern, wie herrlich wir es doch finden, jetzt mit nahkampftechnisch bestens ausgebildeten Scharteken einen verbissenen Grabenkrieg in Käsetheken- und Kassenschlangen zu führen, während sich unsere Freunde noch mal die Bettdecken bis über die Nasenspitze ziehen, da sie sich um ihr Abendessen ja nicht zu sorgen brauchen.

Als wir ein paar Stunden später wieder zu Hause eintreffen, wären wir mithin für einen Kurzurlaub auf dem Sofa durchaus zu haben. Gerade delikatere Speisen aber erfordern oft eine erheblich längere Zubereitungszeit als Mama Miracolis bekannte Leckerei. Zudem muß beim Hantieren mit Töpfen und offenem Feuer immer wieder mit unvorhergesehenen Zwischenfällen gerechnet werden, die den Produktionsprozeß ganz erheblich verzögern können. „Verdammtes Elend!“ höre ich denn auch schon die Liebste fluchen, ehe sie mit einer rußenden Pfanne in Richtung Balkon rennt und ich mich noch einmal daran machen darf, ein halbes Kilo Zwiebeln in mikroskopisch kleine Partikel zu häckseln.

Gerade pünktlich mit dem Eintreffen der Gäste werden wir dennoch fertig, und schade ist eigentlich nur, daß die Zeit zum Duschen nicht mehr reicht und wir den ganzen Abend so riechen müssen wie Frittenbudenbesitzer. Weil wir indessen andererseits sowieso pausenlos wie zwei bienenfleißige Kellner zwischen Tisch und Küche hin- und hersausen und deshalb kaum einmal länger als eine Minute in der Nähe unserer Gäste sind, brauchen wir kaum zu befürchten, sie durch unser markiges Odeur zu belästigen, und so können wir uns denn später auch beim Betrachten des Abwaschberges mit dem schon bekannten Tigerknurren noch einmal bestätigen, wie unvergleichlich schön es doch ist, Gäste zu haben.