„Einfacher wird die Steuer nicht“

Heute verabschiedet der Bundestag die Steuerreform. Unternehmen und Privatleute zahlen 20,5 Milliarden Mark weniger. Trotzdem läuft die Wirtschaft weiter Sturm  ■ Von Beate Willms

Berlin (taz) – Zehnmal mußten die Mitglieder des Bundestags-Finanzausschusses zu Sitzungen antanzen. Dreimal hatten sie sich Experten eingeladen, um sich die Bedeutung einzelner Steuerbegünstigungen und ihre möglichen Auswirkungen erklären zu lassen. Die schriftlichen Stellungnahmen der Verbände waren mit einem mittleren PKW kaum noch zu transportieren, die Anrufe empörter Lobbyisten nicht abzuwimmeln. Und trotzdem beschwerte sich der frühere Ausschußvorsitzende Carl-Ludwig Thiele (FDP), man habe „nicht genug Gelegenheit zur Nachfrage“ gehabt. „Wenn das Steuerentlastungsgesetz im Bundestag abgesegnet ist, wissen wir, was wir geleistet haben“, heißt es entsprechend im Büro von Thieles Nachfolgerin Christine Scheel (Grüne). Heute berät das Parlament nun in zweiter und dritter Lesung über die erste Stufe der Steuerreform für die Jahre 1999 /2000/2002.

20,5 Milliarden Mark sollen Unternehmen und private Haushalte im Jahr 2002 insgesamt weniger an Steuern zahlen: Das Kindergeld wird rückwirkend zum 1. Januar erhöht, ebenso der Grundfreibetrag, zudem sinkt der Eingangssteuersatz von 25,9 Prozent auf 19,9 Prozent im Jahr 2002, der Spitzensteuersatz wird bis 2002 von derzeit 53 Prozent auf 48,5 Prozent reduziert. In drei Jahren wird eine Familie mit zwei Kindern 2.700 Mark mehr auf dem Konto haben als heute. Auch Unternehmen sparen durch die Senkung der Körperschaftssteuer für einbehaltene Gewinne von 45 auf 40 Prozent. Gleichzeitig werden Abschreibemöglichkeiten für rund 36,4 Milliarden Mark eingeschränkt.

Wie sich die 20,5 Milliarden Mark, die als Nettoentlastung übrigbleiben, auf Unternehmen und Haushalte verteilen, wer also wieviel profitiert, konnte das Bundesfinanzministerium gestern noch nicht sagen. Nach dem ersten Entwurf hatte das ifo-Institut errechnet, daß die Unternehmen jährlich rund fünf Milliarden Mark mehr zahlen müßten als bisher. Allerdings ging dieser Entwurf noch von einer Gesamtentlastung von nur 15,4 Milliarden Mark aus und ist inzwischen weitgehend nachgebessert worden. Zahlreiche Schlupflöcher, die ursprünglich gestopft werden sollten, bleiben nun vorerst erhalten. So wird die Teilwertabschreibung, bei der Unternehmen, Händler und Versicherer Wertverluste bei Lagerbeständen oder Forderungen steuerlich absetzen können, weiterhin möglich sein.

Für die Auflösung steuerfreier Rückstellungen werden die Unternehmen noch zehn Jahre Zeit haben (siehe Kasten). Stark eingeschränkt werden aber die sogenannten Steuersparmodelle, bei denen sich Unternehmer wie Privatleute an Projekten beteiligen, die in der Anfangsphase Verluste machen, und diese dann mit positiven Einkünften verrechnen. Obwohl nur solche Modelle gestrichen werden sollen, die von vornherein auf Verlust angelegt sind, läuft die Immobilienbranche nun ebenso Sturm wie die Stromkonzerne und die Versicherungsgesellschaften gegen die Neuregelung der Rückstellungen. Wirtschaftsbosse drohen, ins Ausland abzuwandern. Der Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft, Mario Ohoeven, befürchtet ein Minus von 500.000 Stellen.

Klaus Schäfer, Ökonom beim Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Institut glaubt dagegen, daß die Unternehmen „sehr gut weggekommen“ sind. „Die Regierung hat sich von konjunkturellen Motiven leiten lassen“, sagte er der taz. „Sonst hätte sie bei den niedrigen Einkommen viel stärker entlastet und die Unternehmen mehr zur Kasse gebeten.“ Auch Dieter Ondracek, Vorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft, glaubt „nicht, daß auch nur ein Unternehmen existentiell betroffen ist“. Seine Kritik an der Steuerreform, die er als „insgesamt ausreichend, unter dem Verteilungsgesichtspunkt sogar befriedigend“ beurteilt: „Einfacher wird die Steuer nicht.“ Was immerhin auch einen positiven Aspekt hat: Um mit den Neuerungen fertig zu werden, müßten die Finanzämter mehr Leute einstellen.