Eingekeilt zwischen PDS und CDU

Auf absehbare Zeit wird sich am ostdeutschen Drei-Parteien-System nichts ändern. Die SPD hat deshalb gar keine andere Wahl, als weiter auf die PDS zuzugehen  ■ Aus Dresden Nick Reimer

Nicht daß die „Dresdner Erklärung“ am vergangenen Wochenende für obsolet erklärt wurde, ist beachtenswert. De facto ist sie seit der rot-roten Koalition in Mecklenburg hinfällig. Beachtenswert ist vielmehr, daß dies in Görlitz, auf dem Landesparteitag der sächsischen SPD geschah. Landeschef Karl-Heinz Kunckel, vehementester Gegner jeglicher PDS-Zusammenarbeit, bewarb sich als Spitzenkandidat. Doch bevor er seinen in Sachsen einmalig harten Anti- PDS-Kurs in seiner Bewerbungsrede begründen konnte, bekam Kunckel von Bundesgeschäftsführer Ottmar Schreiner zu hören, ab sofort gelte die „Dresdner Erklärung“ nicht mehr.

Aus reinem Machtkalkül hatten die ostdeutschen Fraktions- und Landeschefs 1994 ihrem damaligen Parteichef Scharping in Dresden erklärt, daß eine „Zusammenarbeit mit der PDS nicht in Frage kommt“. Doch schon damals gab es das Magdeburger Modell und gemeinsame kommunale Projekte. Es ging seinerzeit den Genossen hauptsächlich darum, dem Kanzlerkandidaten Scharping den Rücken freizuboxen gegen die Rote-Socken- Kampagne der Union.

Auch jetzt, nach der Hessenwahl, ist es reines Machtkalkül, wenn die Erklärung im schwarzen Sachsen zurückgenommen wird. Die SPD hat gar keine andere Wahl, als mit der PDS mittelfristig zusammenzuarbeiten. Bei den Landtagswahlen in Thüringen, Berlin, Sachsen und Brandenburg in diesem Herbst werden die Karten neu gemischt. Wenn die bei der Ost-SPD verhaßten großen Koalitionen in Thüringen und Berlin abgelöst werden, gewinnt die SPD die Mehrheit im Bundesrat zurück. Die PDS wird aber zu dem berühmten Zünglein an der Waage.

Zudem steht die absolute Mehrheit der sächsischen CDU auf der Kippe: Bei der letzten Umfrage lagen CDU und Rot-Rot gleichauf. In der Dresdner Morgenpost erklärte Sachsens CDU-Generalsekretär Steffen Flath, im Falle einer Wahlniederlage sei eine Koalition seiner Partei mit der SPD „ziemlich ausgeschlossen“. In Brandenburg wackelt die absolute SPD- Mehrheit. So könnte es sein, daß der stellvertretende Ministerpräsident dort im Herbst Lothar Bisky heißt. Der PDS-Chef geht als Spitzenkandidat an den Start.

Die SPD ist im Osten eingekeilt zwischen PDS und CDU. Auf absehbare Zeit wird sich nichts Wesentliches am ostdeutschen Drei- Parteien-System ändern. Die FDP spielt in den neuen Bundesländern nirgendwo eine Rolle, die Bündnisgrünen sind als landespolitische Kraft scheinbar überflüssig. Anders als im Westen werden sie hier nicht als Option links der „Neuen Mitte“ gebraucht: Diese Position ist von der PDS okkupiert, die sich mit mehr Mitgliedern, einem besseren Apparat und resoluteren linken Positionen diesen Platz auch nicht ohne weiteres nehmen lassen wird.

Daran ändern auch Ressentiments gegen die SED-Nachfolger nichts, die es vor allem bei jenem Teil der Ostdeutschen gibt, die 1989 auf die Straßen gingen. Die Bündnisgrünen haben es versäumt, das Erbe der Bürgerrechtsbewegung zu kultivieren und sich dadurch als Stimme des Ostens zu etablieren. Im Gegenteil: Die Grünen werden heute im Osten als reine West-Partei wahrgenommen. Als einzige Partei, die in der Geschichte der Bundesrepublik neu entstand und sich parlamentarisch etablieren konnte, verorten die Bündnisgrünen ihre Herkunft heute in der 68er-Bewegung und der Friedens- und Ökologie-Bewegung der 70er und 80er Jahre. Diese Bezugspunkte sind den Ostdeutschen natürlicherweise fremd, die sogenannten postmaterialistischen Werte wie Selbstverwirklichung, demokratische Mitbestimmung oder individuelle Freiheit spielen zwischen Erzgebirge und Rügen nur eine untergeordnete Rolle. Die PDS hingegen schöpft ihren Wertehorizont aus den Erfahrungen der untergegangenen DDR. Das reicht, um mit bis zu einem Viertel der Stimmen drittstärkste Kraft im Osten zu bleiben.

Während die PDS, wie auch CDU und FDP, bestehende Strukturen der DDR-Parteien übernehmen konnten, mußten Bündnisgrüne und Sozialdemokraten diese erst aufbauen. Die schwache Personaldecke und die programmatischen Zwänge ließen in der Ost- SPD faktisch nicht zu, über das Verhältnis zur PDS nachhaltig zu diskutieren. In der Bonner Parteizentrale fehlt zudem ein ernsthaftes Interesse an einer solchen Diskussion.

Selbst die Kritik am Pro-PDS- Kurs innerhalb der Ost-SPD ist ausgesprochen abgewogen. So kündigte Thüringens prominentester PDS-Gegner, der stellvertretende Ministerpräsident Gerd Schuchardt, zwar an, im Falle einer Zusammenarbeit nicht mehr als Minister zur Verfügung zu stehen. Gleichzeitig versicherte er dem SPD-Spitzenkandidaten Richard Dewes aber seine Unterstützung. So straften am vergangenen Wochenende die Delegierten Kunckel mit einem denkbar schlechten Wahlergebnis zwar ab. Zu einer Aussprache kam es aber nicht.

Daß es in den Ostlandesverbänden nicht zu einer offenen Konfrontation um die PDS kommt, hat programmatische Gründe: Die Ost-SPD hat mit Schröders „Neuer Mitte“ zu kämpfen. Das Mansfelder Forum, ein Zusammenschluß linker Sozialdemokraten Sachsen-Anhalts, analysierte, daß es diese „Neue Mitte“ als soziale Schicht im Osten gar nicht gibt.

Deutlich ist hingegen, daß das Sozialstaatsempfinden im Osten wieder stärker in den Vordergrund rückt. Bei der Bundestagswahl entfielen fast zwei Drittel der Stimmen auf eine Linkspartei. Die Politikforscher glauben, daß sich dieser Trend eher noch verstärken wird. Auch deshalb hat die SPD gar keine andere Wahl, als weiter auf die PDS zuzugehen.