Helmut mit dem dunklen Haar

■ Heute abend spielt Hafid Catruats Band in den Weserterassen. Tenever verwandelte den exmarokkanischen Kaufmann in einen ehrenamtlichen Sozialarbeiter. Ein Porträt

Hafid Catruats wohnt im zehnten Stock eines 30 Jahre alten Hochhauses. Durch schicke türkisfarbene (passend zum Teppich) Jalousetten schweift der Blick über eine Wüste uniformer Backsteinhäuser. „Doch. Man kann sich selbst soweit bringen, das hübsch zu finden. Eine Frage der Haltung – oder der Gewöhnung“, schalkt der 28jährige Berber.

Ob er sich eher als Deutscher oder als Marokkaner definieren soll, weiß er nicht, interessiert ihn nicht. Seit er im Besitz eines deutschen Passes ist – und zwar als einziger innerhalb seiner großen Familie – unkt der Vater gerne Mal „Mein Helmut“. Am liebsten essen tut er jedenfalls Hähnchen mit Pommes. Demnach wäre er also wohl ein echter Kentuckyerianer. Ganz sicher weiß Hafid nur soviel: Er ist Tenever Urgestein. Im zarten Alter von fünf Jahren holten ihn die Eltern aus einer 35.000-Seelen-Stadt im Rifgebirge nach Tenever. Da lebt er heute noch.

Zwei ältere Schwestern blieben in Marokko. Die Familie besucht sie mindestens einmal im Jahr. Wenn Hafid eine Freundin im Schlepptau mit dabei hat und beim Knutschen auf der Straße scheel angesehen wird, spätestens dann weiß er: Ein wunderschönes Reiseland, aber Heimat, nein, das nicht. Die dortige Politik – Freiheit für Westsahara? – ist ihm sowieso wurscht. Weil er nur Berbisch spricht und nicht die Amtssprache Arabisch kann er sich mit den dortigen Behörden nicht verständigen. Anders Hafids Eltern: Die haben zwar ihre lieben Schwierigkeiten mit Schreiben und Lesen, sprechen aber fließend Berbisch, Arabisch, Französisch, Spanisch, Deutsch. Bei einer Autopanne in Spanien hatte die Mama die Situation souverän im Griff, erzählt der Sohn nicht ohne Bewunderung.

In Hafids Wohnung herrscht beneidenwerte Ordnung, daß man bei Eintritt automatisch die Schuhe auszieht. Aufgeräumt wirkt auch der Mensch. Hafids Stimme ist freundlich – ein leiser, ruhiger Fluß, egal, ob er von der Band seines Bruders „E-Salam“ (das heißt Friede) erzählt oder von der Erniedrigung des stundenlangen Anstehens in der Ausländerbehörde; ein Mißstand, den zu bereinigen er übrigens viel wichtiger findet als symbolische Akte wie die doppelte Staatsbürgerschaft. Seine Tenever Schulkarriere beendete er mit dem Hauptschulabschluß und könnte sich für diese Nachlässigkeit noch heute ohrfeigen. „Damals war ich nur auf eines versessen. Fußballspielen.“

Dann machte er eine Lehre als Heizungsbauer. „Weil ich nichts anderes gekriegt habe.“ Im Laufe von fünf Jahren Arbeit an Kesseln, Kabeln, Wänden fing er an, Konzerte zu veranstalten. Das brachte ihn in Kontakt mit diversen Institutionen: Freizis, Migrantenvereine... Das Interesse am Schraubenschlüssel schwand dahin. „Nicht mehr meine Welt.“ Das Arbeitsamt hatte ein Einsehen mit seinem neuerwachten Interesse für soziale Belange. Man verpaßte ihm eine dreivierteljährige kaufmännische Zusatzausbildung. Schließlich kommt man als Kaufmann mit Menschen zusammen. Wie dieses „Zusammenkommen“ aussieht, durfte er erleben, als er Terminals für das Einlesen von Kreditkarten an den (Geschäfts)mann bringen sollte. Drei Stück hat er in drei Monaten losgeschlagen und gelernt, wie unendlich knapp viele Geschäfte in Bremen kalkulieren müssen. „Da plauderst du zwei, drei Stunden über Reitsport und den letzten Badeurlaub, um dir am Ende anzuhören, daß die Zeiten zu schlecht sind für Neuinvestitionen.“

Jetzt läuft seine Bewerbung um eine ABM-Stelle beim DAB, dem Dachverband für Ausländerkulturvereine. Und er liebäugelt mit der Idee, das Abitur nachzuholen und Sozpäd zu studieren. „Ich liebe Herausforderungen.“ Von anderen die Lebensplanung vorschreiben lassen, möchte er sich jedenfalls nicht mehr.

Seit zwei Jahren leitet Hafid ehrenamtlich den „Interkulturellen Verein Tenever“. Mit miniaturhafter Hilfe der Stadt gilt es, ein ehemaliges Waschhaus in ein Bürgerhaus zu verwandeln. „Küche eingerichtet, Wände gestrichen, das haben wir alles selbst.“ Anliegen des Vereins ist es, die unterschiedlichen Kulturen durch Vorträge, Konzerte usw. miteinander vertraut zu machen. „Tenever hat so einen miesen Ruf. Warum eigentlich? Ich finde es schön auf der Straße eine Inderin mit Stirnpunkt, einen Russen mit Wodkaflasche und einem hübschen farbigen Baby über den Weg zu laufen.“ Hafid ist Sprecher für die Mieter seines Wohnturms. Ein Büro, die „Kulturwerkstatt“, berät in Mietfragen, organisiert Seniorentreffs, bietet aber auch Sozialberatung außerhalb des Hauses an. „Einige Leute in diesem Stadtteil können nicht lesen. Sie stehen Behördenformularen ebenso hilflos gegenüber wie ihren Rechten als Bürger. Da ist viel Zeit und Geduld gefragt, die Behörden oft nicht aufzubringen gewillt sind.“ Sein soziales Engagement ist für Hafid mehr als Zeitvertreib. „Wir, die Migranten, dürfen nicht die Hände in den Schoß legen und klagen, sondern können selber etwas bewegen. Und wenn man erst einmal anfängt mit einer Sache, dann hilft auch der Staat.“

Seit sechs Jahren gibt es die Band E-Salam. Alles fing an mit dilettantischem Gitarrengezupfe und Getrommle im Probenraum eines Bekannten. Mit tatkräftiger Unterstützung eines Musiklehrers hat die Band hohes professionelles Niveau erreicht. Zuhause auf CD hört Hafid am liebsten Soul, Funk, Hip-Hop, Reggae. Spielen aber tut er kurioserweise lieber die rai-ähnliche Musik der Heimat der Eltern. Erst waren es Traditionals, immer öfters sind es Eigenkompositionen. Ein Video zeigt die Band im „Haus der Kulturen“ in Berlin, jener Betonauster im Tiergarten. Im Publikum sind Frauen mittleren Alters mit verschlurftem Ausdruckstanz zu sehen. Auch mit größter Anstrengung ist Hafid keine lästerliche Bemerkung über deutschen Tanzstil zu entlocken. „Ich finde es gut, daß auf unsere Musik jeder auf seine eigene Weise tanzt.“

Aus ihm spricht eine Toleranz, die ihm selbst oft verweigert wird. Obwohl von Paß und Sozialisation waschechter Deutscher, mußte er sich letztes Wochenende in der Disko Capitol wieder vom Türsteher anhören: „Sorry, aber ich darf nur 50 Ausländer reinlassen.“ Und bei einem Schiffsausflug mit seinem heißgeliebten Fußballclub vor zwei Jahren – damals hatte er noch keinen deutschen Paß – mußte er allein am Kai in Hamburg stehenbleiben. Ein dreistündiger Zwischenstopp in England wurde ihm zum Verhängnis. „Sie dürfen mit, wenn sie in England Asyl beatragen“, entschied irgendein Hansel. „Manchmal denke ich: Schade, daß ich schwarze Haare habe.“

Barbara Kern

5.3., 20 Uhr, Weltnacht mit E-Salam, Bürgerhaus Weserterasse