■ Kommentar
: Leben wie Gott gegen Frankreich Von Wiglaf Droste

Es war ein durch und durch finsterer Tag für Gott. Schon früh am Morgen hockte er auf dem kleinen Kanonenofen in seinem Arbeitszimmer. Er fror erbärmlich und knackte mürrisch mit den Knöcheln. Gott hatte Depressionen. Irgend etwas fehlte ihm – ein anständiger Zug durch die Gemeinde, die Weltherrschaft möglicherweise? Er wußte es nicht.

Vielleicht war er auch einfach nur müde, ausgebrannt, hatte den Burn-out, wie man heute sagte, war schlichtweg zu lange im Job, demotiviert, die Schiene? Viel Freude hatte er nicht gehabt in seinem Leben, dachte er niedergeschlagen. Sogar sein dämlicher Sohn hatte ihm den Rang abgelaufen; bei den letzten Meinungsumfragen hatte Jesus weit besser abgeschnitten als Gott. Es war immer dasselbe: Mit der billigsten Zirkusnummer kamen diese Typen zum Erfolg. Christus der Erlöser! Was für ein Witz: Diesem Simulanten, diesem André Heller der Spiritualität rannten die Leute hinterher. Gott lachte bitter.

Seine Frau kam ins Zimmer. Sie war Französin, ein ziemlicher Feger und ein lustiger Vogel dazu. Gott hatte unverschämtes Glück: Trotz seiner Launen liebte sie ihn wirklich, und ohne ihre unbeirrbare Heiterkeit wäre er längst völlig zum Sauertopf geworden. Sie sah ihn an, kommentierte sein Möff-Möff-Gesicht mit keinem Wort, nahm seinen Kopf in beide Hände, küßte ihn auf den Mund, ließ ihn los, drehte sich leicht im Kreis und trällerte: „Ein bißschen Marx, ein bißschen Nietzsche, so muß er aussehn, der Mann, bei dem isch quietsche.“

Anstatt sich zu freuen, was für einen klasse Fang er gemacht hatte, spulte Gott sich auf. Gott war Deutscher. Es reichte ihm nicht, daß er das Glück frei Haus bekam. Er mußte unbedingt auch recht haben, und zwar in allem, sonst gildete es nicht. Entsprechend panne reagierte er auf den freundlich-albernen Gesang seiner Frau. „Ich liebe dich, France“, murrte er, „aber ich habe dir schon tau-send-mal gesagt: Sing keine Lieder!“

Gott kam in Fahrt. „Franzosen und Popmusik! Das größte Mißverständnis aller Zeiten!“ Er lachte gehässig. „Ihr haltet Johnny Hallyday für einen Rock‘n‘Roller! Hallyday! Dieses Stück Nappaleder! Diesen nachgemachten Kautschuk-Rocker!“

Gott wurde richtig eklig. „Der französische Beitrag zur Popkultur – und zwar der einzige! –“, dozierte er auftrumpfend und stocherte mit dem rechten Zeigefinger im Zimmer herum, „war Plastic Bertrand!“ Gott warf sich ironisch in Positur und begann zu juhuien: „Ça plane pour moi! Ça plane pour moi! Ça plane pour moi, moi, moi, moi, moi, ça plane pour moi, Uuhuuwhiihuu ...“ Er hätte endlos weitermachen können, aber dann bemerkte er den Blick seiner Frau. „Du tust mir leid“, sagte sie. „Du bist äscht bescheuärt.“ Sie schüttelte den Kopf. „Und wer sagt, 'Isch liebö disch, abör‘, hat sowieso nischts begriffön und kann sisch den Fingör in die Arsch steckön.“

Mit diesen Worten verließ sie Gott und ging zurück zur Mutter aller Franzosen, zu Serge Gainsbourgh, bei dem es immer ein paar gute Flaschen und ein paar schöne Lieder gab für Frauen wie sie. Gott aber verkam und verelendete völlig, pinselte den Himmel schwarz-rot-golden an und nannte ihn nach seinem täglichen Doseneintopf: Protektorat Bohnen und Möhren.