Ja, mach' nur einen Plan

Mit dem „Stadtforum“ hat sich Berlin ein einmaliges Gremium eingerichtet, um über seine städtebauliche Zukunft zu debattieren. Heute ist Jubiläum. 75 Sitzungen mit teils konstruktiven, teils dekonstruktiven Auseinandersetzungen fanden seit 1991 statt. Das sind 480 Stunden oder 20 Tage und Nächte Stadtentwicklung total mit durchschnittlich 250 Teilnehmern  ■ Von Thies Schröder

Eine Institution, die sich mit Fragen der städtebaulichen Realität und Zukunft in Berlin befaßt, droht an der Fülle der Aufgaben zu scheitern. Pläne, Baustellen und Projekte en masse – wie soll man es da allen recht machen. 1995 kritisierte der Stadtplaner Dieter Hoffman-Axthelm eben diese Einrichtung, das Berliner „Stadtforum“, als „toten Briefkasten“. „Hätte das Stadtforum Wirkungen, wäre es Unzufriedenheiten ausgesetzt, die es vermutlich nicht lange durchhalten würde.“ Das Stadtforum hat durchgehalten. Acht Jahre ist es alt und hat 75 Sitzungen auf dem Buckel. Und es macht weiter. Die Stadt – oder Teile davon – scheinen es nötig zu haben; wenn auch nicht mehr mit ganz so viel Euphorie wie zu Beginn 1991.

Und der Beginn war furios, war doch in der Hauptstadt der Baustellen etwas entstanden, worin sich die Themen der Entwicklung Berlins in den 90er Jahren widerspiegeln sollten: Vom Wettbewerbsstreit am Potsdamer Platz über Olympia 2000, Großsiedlungen, Verkehr, Zukunft der Arbeit, städtische Freiräume, Dienstleistungsmetropole, Parlaments- und Regierungssitz, Schloßplatz, Mahnmaldebatte, Planwerk Innenstadt bis zu den zur Zeit besonders aktuellen Themen Migration und soziale Stadt. Einige Sitzungsprotokolle lesen sich heute wie Evergreens, andere sind beiseite gelegt, wenn auch nicht erledigt.

Diskussionen zu „industriellen Kernen“, zum auf falsch prognostiziertes Stadtwachstum ausgelegten Flächennutzungsplan, zur Länderfusion oder zum Wettbewerb Alexanderplatz, einem der „Herzen der Stadt“, wurden wieder vergessen, folgenlos. Das „Wanderherz“, das der Architekt Robert Frank angesichts der vielen behaupteten Mitten Berlins 1993 diagnostizierte, schlug anderswo weiter. Im Laufe der Zeit gelang es immer seltener, über den Dialog im Stadtforum neue Handlungspielräume zu gewinnen.

Das Stadtforum hat dieser Selbstkritik wenig Raum gegeben. Seine Stärke lag und liegt in der Analyse, nicht in der Durchsetzung von Konsequenzen. Zwar wurde der Stadtforum-Dialog immer vielfältiger, seitdem 1996 die Kerngruppe erweitert wurde. Gäste lädt man quer zu Ländergrenzen und Disziplinen ein. Andererseits aber hat sich das Stadtforum vom Alltag der Stadtentwicklungspolitik entfernt. Konkrete Planungsprobleme werden auch wieder andernorts verhandelt.

Natürlich hat die planende Zunft, also Architekten, Stadtplaner, Landschaftsarchitekten, unter den Teilnehmern des Stadtforums bis heute ein Übergewicht gegenüber anderen „Urbaniten“. Das Stadtforum ist Fachbühne und Expertendiskurs, nicht Bürgerarbeit. Daher neigt man zur Überschätzung von Stimmungen und Meinungen der Teilnehmer. Die Innenstadt der „Urbaniten“, die dem immer noch in Arbeit befindlichen „Planwerk Innenstadt“ zugrunde liegt, ist auch eine Binnenreflexion der Stadtforum-Teilnehmer. Andere sind währenddessen ins Umland gezogen.

Die „Urbaniten“ hießen in der ersten Stadtforum-Periode unter dem damaligen Stadtentwicklungssenator und Stadtforum- Gründer Volker Hassemer (CDU) „Stadtbürger“. Gemeint waren dieselben sich der Stadt verpflichtet fühlenden Personen. Für diese ist das Stadtforum auch gesellschaftlicher Treffpunkt. Sehen und Gesehen-Werden sind nur zwei Funktionen des Stadtforums. Wichtiger sind die Vorträge und Gespräche zur Sache. Diese hat Volker Hassemer als „oberster Zuhörer“ verfolgt. Sein Nachfolger im Amt, Peter Strieder (SPD), hält es ähnlich. Das Engagement der Teilnehmer garantiert aber nicht den Erfolg einer Einrichtung. „Der Erfolg des Stadtforums wird sich erst in Zukunft zeigen. Er wird daran zu messen sein, ob sich die Empfehlungen tatsächlich in den konkreten Planungen wiederspiegeln.“ So sah Helga Fassbinder, Professorin in Eindhoven und Hamburg-Harburg 1991 die Chancen des Experiments Stadtforum.

75 Sitzungen und ein Fortbestehen dieser Einrichtung bis 1999 waren anfangs nicht vorgesehen. Schließlich ging man 1991 davon aus, daß Berlin zur Jahrhundertwende vorerst vollendet sein würde. So gesehen ist der Jubiläumsempfang zur 75. Sitzung nicht nur ein Grund zum Feiern, sondern auch Ausdruck des begrenzten Erfolges.

Helga Fassbinder hatte vor Euphorie gewarnt: „Ich sehe im Stadtforum das Modell einer ständigen Einrichtung für einen offenen Planungsprozeß. Schließlich stellt Berlin die schwierigste Planungsaufgabe in Europa dar. Die Bewältigung der Aufgabe des Zusammenwachsens von West und Ost ist auch von symbolischer Bedeutung.“ Diese Ausgangslage des Stadtforums gilt weiter, ein offener Prozeß der Integration zweier Millionenstädte ist die Berliner Entwicklung bis heute.

Im orientierungslosen Berlin schien nach 1990 alles möglich. „Gut, daß wir darüber geredet, auch gestritten haben“, war die wichtigste Schlußfolgerung aus vielen Stadtforum-Sitzungen. „Reden, Hauptsache reden“ faßte deshalb der Bauunternehmer Dietmar Otremba seine Erfahrungen mit dem Stadtforum zusammen.

Bald kam der Vorwurf auf, das Stadtforum sei vor allem eine „Quatschbude“. Gegengründungen wie das „Stadforum von unten“ entstanden. Richtig ist, daß im Stadtforum die Berliner Entwicklung nicht gesteuert wurde, eher zeitnah nachvollzogen. Schließlich war das Stadtforum nie Politik-Ersatz. Es werden keine Beschlüsse gefaßt, sondern vor- und nachbereitet. Manchen erscheint diese Arbeitsweise nicht effektiv genug, vor allem Mitglieder des Abgeordnetenhauses und des Senats glänzen meist durch Abwesenheit. „Heute spricht kaum noch einer davon, wenn sich Planer und Politiker im Stadtforum gegenseitig langweilen“, hieß es 1996 in der taz.

Tatsächlich gab es immer wieder Mängel: Während Wettbewerbe zu den zentralen Innenstadtarealen schon ausgelobt waren, begann im Stadtforum die Diskussion über deren Sinn. Dennoch war das Stadtforum anfangs so erfolgreich, weil es Informationen und Diskussionen bot, die es anderswo nicht gab. Die Reihen der Kontrahenten waren nach der Vereinigung der Stadt 1989/90 noch nicht wieder geschlossen. Die städtischen Akteure mußten sich neu sortieren, neue Bündnisse suchen. Berlin war neugierig auf sich selbst, auf die jeweils andere Hälfte und auf internationale Impulse.

So ließ 1993 ein Mitglied der damaligen „Lenkungsgruppe“ – die Bezeichnung ist ein Fehlgriff, die Einrichtung für die Themenfindung und Auswertung der Diskussionen inhaltlich dennoch sinnvoll – auf eigene Kosten den exzentrischen Philosophen Peter Sloterdijk einfliegen und beherbergen, weil dieser mit den normalen Gastfreundschaftsbedingungen der Berliner Verwaltung ganz und gar nicht einverstanden war. Sloterdijk sollte dem Stadtforum zu neuer Inspiration verhelfen. Er redete dann über seine Idee, auf dem Marx-Engels-Platz, heute Schloßplatz, ein „Gesellschaftsobservatorium für das 21. Jahrhundert, ein Reizzentrum für gesellschaftliche Lernprozesse als eine Art geistiges World Trade Center“ einzurichten. Soviel zum Idealismus im Stadtforum.

Eine spezielle Wirkung kann man dem Stadtforum nicht absprechen. Es hat Standorte etabliert. Der erste Tagungsort an der Wallstraße ist heute Immobilienobjekt im sogenannten „kleinen Regierungsviertel“. Wenige Meter weiter zog das Stadtforum dann zum Trockenreden in die frisch sanierten Wallhöfe. Das Graffito „Olympiasport ist Stadtteilmord“ an der gegenüberliegenden Fassade erinnert noch heute an diese Zeit in der Wallstraße. Im Jahr 1997 zog man in das Staatsratsgebäude am Schloßplatz1 und etablierte diesen abrißgefährdeten Bau, den nun der Bundeskanzler als Interims- Dienstsitz nutzt.

Deshalb muß das Stadtforum nach der 75. Sitzung erneut umziehen. Ein Gebäude ist im Gespräch, wieder in Mitte. Doch es ist nicht der Palast der Republik, für den das Stadtforum im Sinne der Inwertsetzung am Immobilienmarkt noch Großes tun könnte. Trotzdem herzlichen Glückwunsch.