USA zwischen Rache und neuem Testament

Ausländische Versuche, Todeskandidaten vor der Hinrichtung zu retten, bleiben fast immer erfolglos. Die meisten US-Amerikaner sind von der Überlegenheit ihrer Demokratie überzeugt  ■ Aus Washington Peter Tautfest

Ausländische Interventionen zur Begnadigung von Todeskandidaten in Amerika haben so gut wie nie Erfolg — die Begnadigung, die der Papst im Februar in Missouri erwirkte, war eine seltene Ausnahme. Der konzertierte Einsatz von Bundeskanzler, deutschem Botschafter, Ministern und Bundestagsabgerordneten hat den Gebrüdern LaGrand in Arizona nicht zur Begnadigung verholfen.

Die Zustimmung der überwältigenden Mehreit der Amerikaner zur Todesstrafe erklärt die Professorin für soziale und politische Ethik an der University of Chicago, Jean Bethke Elshtain, mit einem „stark ausgeprägten Rechtsempfinden“ und einem „Bedürfnis, seine Sünder zur Rechenschaft zu ziehen“. Die öffentliche Meinung schwanke „zwischen diesen beiden Polen. Darin sehe ich den Zusammenprall von alttestamentarischen und christlichen Anteilen unserer Traditionen“.

Jean Bethke Elshtain charakterisierte diesen Widerspruch auch als „nationale Schizophrenie, die sich daraus erklärt, daß in diesem Land zwei Kulturen aufeinanderstoßen, eine städtische gebildete Elite, die sich gegen traditionelle Werte auflehnt, und eine breite ländliche oder kleinstädtische Bevölkerung, die ihren religiösen Traditionen verhaftet und ihrem Wertesystem treu ist“.

Wo die Provinz das Sagen hat...

Dazu gehört auch die einfache Gleichung, daß „wer ein Leben zerstört das seine verwirkt hat“. Der Unterschied zwischen Amerika und Europa liegt darin, daß in Europa die Städte und deren intellektuelle Eliten die Macht haben, in Amerika die Provinz und deren Repräsentanten.

Wie stark die Akzeptanz der Todesstrafe vom Charakter der herrschenden Eliten abhängt, kann sich jeder klar machen, der die Frage stellt, wie eine Volksabstimmung in Deutschland oder Frankreich zur Wiedereinführung der Todesstrafe ausgehen würde.

Auch in Amerika war die Todesstrafe zeitweilig abgeschafft. Doch das ging nicht auf einen Gesetzgebungsakt, sondern auf ein Gerichtsurteil zurück. Das Amerikanische Verfassungsgericht entschied, daß die Todesstrafe gegen den achten Verfassungszusatz verstößt, der grausame und ungewöhnliche Strafen verbietet.

Amerikas Gerichte spielen im Willensbildungsprozeß eine große Rolle. Gerichte und nicht die Legislative setzten in Amerika die Bürgerrechte durch. Amerikas Gerichte aber spiegeln stärker als die europäischen den politischen Gezeitenwechsel.

Die Abschaffung der Todesstrafe fand in Amerika im Gefolge der Liberalisierung der 60er Jahre statt. In den 70er Jahren schon änderte sich die Zusammensetzung des Obersten Gerichts, und die Wiederzulassung der Todesstrafe 1972 war Teil der Wende, die in der Wahl republikanischer Mehrheiten in beide Kammern des Kongresses 1994 gipfelte.

Amerika hält etwas auf seinen Sonderweg. Ausländische Interventionen werden als Herausforderung wahrgenommen, traditionelle Werte gegen die unordentliche Welt viel schwächerer Demokratien zu verteidigen.

Auch wenn der Backlash gegen die Globalisierung in Amerika starke Ressentiments mobilisiert, wird irgendwann auch Amerika internationale Rechtsnormen übernehmen. Zuvor muß eine Mehrheit der Amerikaner die Überzeugung gewinnen, daß sie keinen demokratischen Vorsprung mehr vor dem Rest der Welt haben.