Der Stern am deutschen Musical-Himmel sinkt

■ Stella entläßt nach Millionenverlusten im vergangenen Jahr über 1.000 Mitarbeiter. In Berlin soll „Der Glöckner von Notre Dame“ neue Kunden anlocken. Letzte Vorstellungen im Kohlenpott

Hamburg (taz) – Die vermeintlich perfekte Geldmaschine der deutschen Entertainment-Industrie ist ins Stottern geraten – und viele werden das mit Schadenfreude quittieren: Die Musical- Branche boomt nicht mehr. Der Marktführer Stella AG fuhr im vorigen Jahr nach Expertenschätzungen Verluste von 90 bis 95 Millionen Mark ein. Gestern kündigte der neue Vorstandsvorsitzende von Stella, Hemjö Klein, bei seinem ersten Auftritt vor der Presse radikale Sanierungsmaßnahmen an.

So wird im Dezember in Essen „Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat“ eingestellt. In Duisburg fällt zugleich der letzte Vorhang für „Les Misérables“. Der Grund: Die Auslastung von „Joseph“ sank von 100 Prozent 1996 auf 58 Prozent, bei „Les Misérables“ sind es sogar noch zwei Prozent weniger. Immer weniger Entertainment-Kunden wollten zuletzt auch „Miss Saigon“ in Stuttgart sehen. Dieses Stück läuft zwar ebenfalls aus, wird aber durch ein neues ersetzt.

Die derzeit noch 5.000 Mitarbeiter des Unterhaltungskonzers sind geschockt. Denn Stella will seine Kosten um 100 Millionen Mark senken, 25 Prozent davon im Personalbereich. Das entspräche, so Klein, 1.000 Vollarbeitsplätzen. Da viele der Mitarbeiter in Teilzeitverhältnissen beschäftigt sind, treffen die Sanierungsmaßnahmen aber weit mehr als 1.000 Arbeitskräfte.

Etwas mehr als die Hälfte der Arbeitsplätze gehen an den beiden künftig musicalfreien Standorten im Ruhrpott verloren. Des weiteren plant Stella eine „Neuorganisation“ des Vertriebs sowie eine „Harmonisierung der Marketingmaßnahmen“. In diesen Bereichen dürften weitere Arbeitsplätze wegfallen – auch an den weiterhin profitablen Musical-Standorten Hamburg und Bochum. Aufgeschreckt hat der Sanierungsplan auch die Gastronomen in Essen und Duisburg, denn jeder Gast einer Stella- Show gibt rund um das Ereignis vierhundert Mark aus. 45 Prozent der Besucher übernachten in Hotels.

Die jetzt diagnostizierte Krise ist auch eine Folge des Überangebots: 1995 standen hiesigen Musical-Besuchern noch 14.000 Sitzplätze zur Verfügung, inzwischen sind es, zum Durchschnittspreis von 115 Mark, 8.000 mehr. Außerdem sorge „die permanente penetrante Diskussion um Stella dafür, daß die Bereitschaft zum Musical- Besuch leidet“, gibt der Vorstandsvorsitzende Klein zu.

Ein bißchen Geld scheint immerhin noch in der Kasse zu sein, denn am 5. Juni startet auf dem Potsdamer Platz in Berlin „Der Glöckner von Notre Dame“. Geschätzte Kosten für das neue Spektakel: 45 Millionen Mark. René Martens